03.08.2020 – Wäre ich nur ein paar Jahrzehnte jünger, wer weiß …


Linksradikale Demo Neukölln 01.08.20, gegen die Räumung des besetzten Hauses Liebigstr. 34 und des Jugendzentrums „Potse“. Zitat Tagesspiegel, linksradikaler Anwandlungen eher unverdächtig:
„Auf der Hermannstraße kam es zwischenzeitlich zu chaotischen Szenen. Ein Video einer Anwohnerin zeigt, wie die Polizei in die Menge stürmt und Demonstranten niederreißt.“
Die Chronologie solcher Demos läuft nach einem ähnlichen Muster ab, wieder Tagesspiegel:
“ Etwa eine halbe Stunde nach Beginn der Demonstration werfen Unbekannte aus dem Demonstrationszug plötzlich Steine und Farbbeutel auf ein Neubauprojekt an der Ecke Hermannstraße und Flughafenstraße. Daraufhin stoppt die Polizei den Zug, die Situation eskaliert. Linksautonome greifen sofort die Einsatzkräfte an, so schildert es die Polizei in einem Bericht am Sonntag. Sie umzingeln teils unbehelmte Streifenbeamte und bewerfen sie mit Steinen.“
Das ist unverantwortlich. Nichts gegen einen ästhetisch sauber platzierten Farbbeutel an eine Hauswand, die nicht nur symbolisch, sondern ganz materiell dafür steht, das Menschen aus ihren Wohnungen zu Gunsten von Luxusapartments verdrängt werden und nicht selten auf der Straße landen. Das ist strukturelle Gewalt, im Winter erfrieren Menschen auf der Straße. Und was ist ein Farbbeutelwurf dagegen?
In meinen Augen illegal aber legitim.
Steine gegen Menschen ist die Grenze, da wendet sich selbst das wohlmeinende Bürgertum, für das ich hier mal pars pro toto stehe, ab.
Allerdings setzen Farbbeutel sofort oben beschriebene Chronologie in Gang. Die Unantastbarkeit des Eigentums ist in unserer Gesellschaft, im Kapitalismus, ein Fetisch, ungefragter Glaubensgrundsatz. Wenn Sie jemanden erschlagen, gehen Sie mit einem guten Rechtsanwalt mit Bewährung aus der Sache, wenn Sie zweimal Lippenstift klauen und nicht der Klasse des Richters entstammen, gehen Sie bei Pech in den Bau.
Das sind die – geisteskranken – Maßverhältnisse unserer Gesellschaft.
Man kann übrigens auch fragen, welcher geisteskranke Einsatzleiter bei so einem Einsatz unbehelmte Polizisten an die Front schickt. Das nur am Rande…

Und so lieferte die gut gemeinte Absicht der Genoss*innen bei der größten linksradikalen Demo seit längerem mit schlecht gemachtem Testosterongesteuertem Rabaukentum nicht nur der Springerpresse mal wieder willkommenen Anlass für Gift und Geifer.
Man kann übrigens auch fragen, warum die Polizei nicht sofort bei den schwerwiegenderen, nämlich Demokratie und Gesundheit gefährdenden Rechtsverstößen während der Demo der Covidioten auf der Straße des 17. Juni eingriff. Lag es daran, dass die Polizei angesichts der zahlreichen Nazisymbole, verbotenen Reichskriegsflaggen und geisteskranken Parolen sofort erkannte, dass da ihre Brüder und Schwestern im Geiste unterwegs waren?
Ich aber verließ an diesem wundervollen lauen Sommerabend die Wallstatt mit jenem prickelnden Gefühl, welches wir gemeinhin Leben nennen und das sich weder vor dem TV noch bei der Lektüre von Büchern oder im Wirtshaus einstellt – welches ich allerdings für einen Absacker doch noch aufsuchte. Und wäre eine Genossin mit einer Spendenbüchse für die Liebig 34 oder Potse vorbeigekommen, hätte ich durchaus meinen Obolus eingeworfen, nicht ohne die mahnenden und gegenderten Worte: „Liebe*r Diversling, das ist alles sehr löblich, was Ihr da macht, und wäre ich nur ein paar Jahrzehnte jünger, wer weiß …aber das mit den Steinen, das lassen wir demnächst lieber.“
Ich bin bekannt dafür, meistens die richtigen Worte zu finden. Sonnige Woche, liebe Leserinnen…

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