
Karl-Eduard von Schnitzler, genannt Sudel-Ede. Der schwarze Kanal war eine politisch-agitatorische Sendereihe des DDR-Fernsehens zu Zeiten des Kalten Krieges. Der Chefkommentator Karl-Eduard von Schnitzler analysierte anhand von einzelnen Ausschnitten des Westfernsehens die politische Situation in der Bundesrepublik Deutschland . Er tat das erfrischend polemisch, was ihm den Spitznamen Sudel-Ede einbrachte. Ich schätzte seine oft präzisen, strukturell immer ins Schwarze treffenden Analysen durchaus. Bekifft war sein Stil ein Highlight jenseits der oft öden, stromlinienförmigen Dreisender-Monotonie der BRD. Arbeitslosigkeit, hohe Mieten, Verelendung, Drogenmissbrauch, Fremdenfeindlichkeit, Obdachlosigkeit, all diese Phänomene von Entfremdung und sich zuspitzender Krisenproblematik brachte er anhand des Materials, was ihm der Klassenfeind frei Haus per TV lieferte, auf den Punkt. Hier eins der wenigen verfügbaren Sendungsdokumente von 1987, 40 Jahre alt. Die dort angesprochenen Probleme sind immer noch da, allerdings potenziert schlimmer. Alles stimmte, bis hin zum Wiedererstarken des Faschismus in der BRD, von ihm vor Jahrzehnten vorhergesagt.
Lediglich in einem lag Genosse Sudel-Ede ganz schrecklich daneben, nämlich dem ständigen Fazit, um wieviel besser und liebenswerter das Leben für die Genoss*innen in der DDR sei, und wie froh die waren, die Knechtschaft des Kapitalismus drüben, im Westen, nicht ertragen zu müssen. Das war Lichtjahre an der DDR-Realität vorbei halluziniert: Nichts wollten die Insassen der DDR lieber als die zitierte Knechtschaft des Kapitalismus zu ertragen. Für Reise- und Redefreiheit, für Malle und Bild, demonstrierten sie die DDR in den Untergang und Sudel-Ede ins Sende-Aus.
Und hier wollte ein grandioses Projekt ansetzen, des verdienten Kollektivs der Helden der Arbeit aus dem „Hades“, dem türkischen Imbiss in der Berliner Yorckstr., Heimstatt der Mühseligen und Beladenen, der Unterdrückten und Erniedrigten. Unter dem vorläufigen Arbeitstitel „Die Sudel-Edes im Schwarzen Kanal“ entwickelten wir ein Langzeitprojekt von wahrhaft titanischen Ausmaßen. Wir wollten in regelmäßigen Abständen, mittwochs zur ehemaligen Sendezeit des Schwarzen Kanal, im Hades eine szenische Langzeit-Lesung veranstalten, mit allen 1.519 je halbstündigen Ausgaben des Schwarzen Kanal. Die Manuskripte sind im Deutschen Rundfunkarchiv vorhanden. Pro „Lange Nacht des Sudel-Ede“ 16 Folgen, 8 Stunden. Das Projekt war auf drei Jahre angelegt. Ortsabwesenheit, von Hellas bis Hannover, war eingeplant.
Spätestens nach einem Jahr wäre die Reihe Kult, dauerausverkauft, wir müssten nach draußen, vor die Tür, mit Kameras live übertragen, ins Netz streamen, unser Wirt Tayfun wäre ein gemachter Mann, wir wären reich und berühmt und könnten endlich an den Viktoria-Luise-Platz ziehen.

Viktoria-Luise-Platz. Eine herrliche Gegend, vor dem Krieg wohnten hier viele Künstler. U. a. Billy Wilder, der als Jude vor den Nazis fliehen musste. Großbürgerliche 120 qm-Wohnungen, mit riesigen Räumen, Stuck und Kachelöfen, nahebei Michelin gekrönte Restaurants.
Aber ach … unlängst kam ich auf die geniale Idee, etwas intensiver zu recherchieren, und leider entpuppte sich Sudel-Ede als veritabler Antisemit . Israel wurde von ihm als „faschistisch“ und „rassistisch“ diffamiert, jüdische Politik als globaler Unruhestifter dargestellt und die Existenz des Staates als illegitim angegriffen. Linker Antisemitismus vom übelsten, wie das halt so war in den glorreichen linken antiimperialistischen 70ern. Und düstere Wiederkehr feiert, 50 Jahre später.
Diese Sudeleien von Ede hatte ich offensichtlich verdrängt. So starb ein grandioses Projekt in den Kinderschuhen. Es hätte so schön sein können.
Und so werden wir weiter im Hades sitzen, Raki für 2 Euro trinken und jenen in letzter Zeit verstorbenen Hadesianer, die erst das Zeitliche verfluchten und dann segneten, eine Träne nachweinen.
Und wir werden natürlich Projekte entwickeln.…