Kategorie-Archiv: Schuppen aktuell

05.03.2024 – Ab jetzt bleibt nur zu hoffen, dass die Jagd unblutig endet.

Impression am Meer. Alles im Nebel.

Jeder Tag, den die beiden Protagonisten der nebulösen Dritten Generation bei der Jagd auf sie durchhalten, ist ein kleiner Triumph über das System. Wer Bilder des famosen Westerns Butch Cassidy and the Sundance Kid“ im Kopf hat, weiß, wem die Sympathien gehören . Robert Redford und Paul Newman bildeten in dem Film von 1969 als Outlaws auf der Flucht vor dem Gesetz ein liebenswertes Duo, dass als Gegenpol zum albernen Affen und Halbfaschisten John Wayne jede Menge Westernstereotypen quasi im Vorbeiflanieren dekonstruierte. Das Ende: Der Kugelhagel des Repressionsapparates.

Ein ähnlicher Kugelhagel, nur viel chaotischer, fand beim legendären Shootout am Bahnhof in Bad Kleinen 1993 statt, beim Zugriff der GSG 9 auf Angehörige der Dritten Generation. Auch hier ist die zugängliche Quellenlage zweifelhaft, nebulös, wie bei allem über die Dritte Generation., Vergleichbar vom Legendenstatus ist die Ballerei mit der Schießerei am OK Corral , bei der Wyatt Earp, eigentlich Sheriff, aber ein ganz normaler Gauner, mit seiner Bande drei Mitglieder einer anderen Bande erschoss. Einziger Unterschied der beiden Shootouts: Die GSG 9 stellte sich wesentlich dämlicher an, verballerte erheblich mehr Munition, brauchte mehr Zeit, hatte mehr Unbeteiligte angeschossen und eigene Verluste.

Western sind nicht so mein Ding, zu viel dicke Hose und humorbefreite Machoattitüde. Einen realen Westernhelden dagegen schätzte ich früher durchaus, den an der Schießerei am OK Corral beteiligten Doc Holliday. . Für mich war er der Walter Benjamin des Wilden Westens, beide Außenseiter, Desperados, gemacht durch ihre Umstände, und „Grenzlandvagabunden, Philosophen, Spieler“. So Wyatt Earp über Doc Holliday. Das gilt aber auch für Walter Benjamin, den genialsten linken, radikalen Kulturphilosophien des 20. Jahrhunderts. Auf seinen Schultern steht der staubtrockene Spießer Adorno. Benjamin hingegen war manischer Zocker, rauchte, drückte, schluckte alles an Drogen, was damals erreichbar war, hier die Haschisch- und Mescalinprotokolle,  entdeckte Ibiza 30 Jahre vor den Hippies. Über seine Frauengeschichten decken wir lieber den Mantel der Verschwiegenheit, weil er wohl ein veritables Arschloch war.

Wenn es einen Mitbegründer der mäandernden Erkenntnissuche gab, dann ihn.

Ich bin hier im Kleinen (Siehe oben, Scherz, hahaha) etwas mäandernd auf Erkenntnis- und Geschichtswegen, weil nur so ein Versuch möglich ist, Mythen und Legenden zu rekonstruieren. Auf welchen verschlungenen, untergründigen, nicht sichtbaren Pfaden und Verknüpfungen, Rhizomen, hängen moderne Erzählungen voneinander ab. Wo entscheidet sich, ob jemand ein Held, eine Ikone für Generationen wird oder als Loser im Nebel der Geschichte verschwindet. Aus welchen Geschichten der Vergangenheit wird das Lagerfeuer der Zukunft?

Was bleibt, ist die Hoffnung, dass unsere beiden Flüchtigen nicht so enden wie Butch Cassidy und Sundance Kid.

04.03.2024 – Über Verschwörungserzählungen oder: ://about blank

Autonomendisko „://about blank“ Markgrafendamm 24 in Berlin. Nebenan in der Bauwagensiedlung am Markgrafendamm hielten sich angeblich die zwei aufrechten Zinnsoldaten der RAF Volker und Burkhard auf.

Man muss kein Verfassungsschutz-Genie sein, um die Zeichen an der Wand des ://about blank zu decodieren. Autonome, Bolzenschneider, Widerstand etc. pp.: Von hier geht militanter Widerstand aus. Hintergrund: Die Verlängerung der A100 nach Berlin hinein, mitten durch Friedrichshain, über den Markgrafendamm, dem Spot für alternative Clubs und Spots wie der Bauwagensiedlung. Wobei solche Siedlungen grundsätzlich Orte von Aussteiger*innen für ein anderes, radikales Leben sind.

Das Irrsinnsprojekt der Berliner Automafia ruft seit langem radikalen Widerstand hervor, die ganze Gegend da ist gepflastert mit Transpis voller Militanz. Für die Clubs da geht es um die Existenz, die werden geräumt. Ende Gelände. Wenn der Bau da losgeht, ist die Kacke am dampfen. Die gesammelte Berliner Militanz wird dann zum Mili-Tanz aufrufen. Zumal es ja keine Hausbesetzungsszene mehr gibt, wo die sich austoben könnten. Dass der Verfassungsschutz hier vom ersten Tag des beginnenden Widerstands zwei Augen drauf geworfen hat und zwar Tag und Nacht, dürfte klar wie die legendäre Kloßbrühe sein.

Und dabei hätten die Schlapphüte nicht mitbekommen, dass unter ihren Augen die zwei seit Jahrzehnten meistgesuchten Männer der Republik in der Bauwagensiedlung ein – und ausgehen?

Die Beantwortung dieser Frage gemäß des neulich hier verhandelten Plausibilitätsprinzips überlasse ich Ihnen, liebe Leserinnen.

Um es klar zu sagen: Ich will hier keinen Verschwörungserzählungen Vorschub leisten, wie: Alles ein Konstrukt der Geheimdienste, aus welchen Motiven auch immer. Verschwörungserzählungen (das sind ja nie Theorien, das ist immer nur Gemunkel und Geraune, Blablabla) sind die kleinen Brüder des Antisemitismus und mir schon deshalb zuwider. Ich weise nur auf Schwachstellen in der aktuellen Logik hin. Angesichts des medialen Hypes um die Hatz auf zwei alte Säcke im Ruhestand fragt sich der Verstand eh andauernd: Sind da draußen alle verrückt? Die Jagd wurde ja im Minutentakt online aktualisiert und nimmt langsam Züge von Menges legendärem Millionenspiel an .  

Die drei Angehörigen der Dritten Generation sollen ja auch für Millionenschwere Überfälle verantwortlich sein. Ohne Frage kriminell und aus Sicht des Staates unbedingt fahndungswürdig und zu sanktionieren.

Hier stellt sich für mich die Frage des Maßverhältnisses von staatlichem Verhalten bei Kriminalität. Nicht alle hier werden Hanno Berger kennen. Er ist der Haupt-Verantwortliche für den Cum-Ex-Skandal, in dem eine hochkriminelle Gang von vermutlich Hunderten Bankern und Anlagespezialisten, im Verbund mit Politikern, den Staat um mindestens 30, vermutlich wesentlich mehr, Milliarden Euro betrogen hat. Nur die Kurzversion auf Wikipedia liest sich wie schon ein Film . Ein viel üblerer Film als die Slapstickklamotte um die aktuelle Volker und Burkhard-Schnitzeljagd nach dem Motto „Pleiten, Pech und Pannen“. Was ist eine Million im Vergleich zu 30 Milliarden!?

Ich empfehle dem staatlichen Repressionsapparat und den angeschlossenen Medien, mal einen Bruchteil ihrer Energien auf die wahre Bedrohung unserer Demokratie zu lenken, auf die größte derzeitige kriminelle, terroristische Vereinigung, die sich eine perfekte Tarnung zugelegt hat: Maß-Anzüge, im Bankenviertel von Frankfurt. Da das Leben immer mehr in einen irren, wirren Film ausartet, arbeite ich zur Zeit an einem Skript, dass sich ästhetisch an schnellen Schnitten zum Takt von Hiphop orientiert, im Wechsel mit langen, ruhigen Totalen: Direkter Szenenwechsel von Bauwagen Markgrafen zu Bankenviertel Frankfurt. Hin und Her.

What’s left? Dieser Club an der Ecke Markgrafen, die Renate:

Bildgewordene männliche Verschlingungsängste ….

03.03.2024 – Theorie und Praxis

Aufgeblüht. Japanische Blutpflaume am 1. März im Garten.

An dem Tag verkündete auch der Messias der Love and Peace-Kiffer, Karl der salzlose Lauterbach , die Generalmobilmachung des deutschen Gesundheitswesens für den Krieg. Ob das auch in den Curricula für das Medizinstudium Berücksichtigung findet, was die Triage angeht, entzieht sich meiner Kenntnis. Triage meint keine Dreiecksbeziehung, die läuft auch in Friedenszeiten öfter katastrophal, sondern das Aussortieren von Schwerverletzten im Katastrophenfall (Atombombe z. B.), wenn nicht genug Kapazitäten zur Behandlung vorhanden sind.

Natürlich müssen Verantwortliche für denkbare Fälle vorsorgen, das ist nicht der Punkt. Es geht mir nur darum, fürs Protokoll festzuhalten, wie sich der Prozess des Denkbaren sukzessive ausdehnt und damit ein mählicher Prozess der Gewöhnung auch an das Undenkbare einsetzt. Die Hornhaut, die die Emotionalität der Insassinnen der BRD in diesem Prozess sukzessive ausbildet, reagiert auch stumpfer auf anderes Undenkbare. Alles wird möglich.

Logisch und konsequent wäre in Krisenzeiten wie den unsrigen eigentlich (Was bedeutet das Wort „eigentlich“ eigentlich?) folgendes: Linke Theorie und Praxis erleben eine neue Blüte, um die vielfältigen Krisen des Kapitalismus im Interesse der Millionen Betroffenen zu lösen.

Theorie: Die edelsten Denker*innen der Nation grübeln und diskutieren im Austausch mit der Öffentlichkeit über neue Strategien, z. B. um bisherige Leerstellen in der Theorie des Sozialismus praxistauglich zu füllen: Wie werden die Freiheitsrechte der Einzelnen im Sozialismus geschützt? Wie funktioniert grundsätzlich überhaupt Demokratie im Sozialismus? Wie funktioniert eine sozialistische Produktion als ökologisch Nachhaltige? Mit reiner Verstaatlichung kommt man da nicht groß weiter…

Praxis: Das Berliner Regierungsviertel wird permanent von Demos mit einem roten Fahnenmeer geflutet, Basisinitiativen zur fortschrittlichen Krisenüberwindung gründen sich, eine extreme Linke geht in den Untergrund, Tarnname „Vierte Generation“, und bombt Nazis wie Höcke und Antisemiten wie Aiwanger zur Hölle.

Liest sich wie das Exposé für einen Satirefilm.

In der Praxis spielt linke Theorie keine Rolle mehr. An edlen Denker*innen haben wir statt Adorno Precht und statt Hannah Arendt die notorische Antisemitin Judith Butler, aus Deutschland fällt mir da grad kein Name ein, was ja bezeichnend ist. Massendemos haben wir zwar, aber das hat sich bald erledigt, ist halt das Bürgertum, hat mit links wenig zu tun. Und Terror mit Mord und Totschlag gibt’s von Rechts.

Wir haben es also mit der aus logischer Sicht skurrilen Situation zu tun, dass die Blütezeit linker Theorie und Praxis zu einer Zeit, 68ff., herrschte, die mit Krise im Vergleich zu heute so wenig zu tun hatte, wie ich mit einem Lehrstuhl in Mathematik. Es gab damals zwei strukturelle Krisen, die erste Wirtschaftskrise 66/67  mit ein paar Arbeitslosen , bald überwunden mit Vollbeschäftigung, Aufschwung, Friede, Freude, Eierkuchen und die Verabschiedung der Notstandsgesetze 68, als Folge einer großen Koalition. Das war’s an Krisen, danach die fortschrittlichste Phase der BRD, bis zum Deutschen Herbst 77. Und in diese Phase hinein explodierten linke Theorien, mit massenhafter (naja) Akzeptanz. Und die Bomben der RAF.

Und heute, wo wir für die Krisen von damals dankbar wären, was haben wir da an fortschrittlicher Theorie und Praxis? Schon skurril.

Nachtrag zum aktuellen Fahndungsfoto von Burkhard Garweg, den sie nun wohl auch bald haben werden und damit ihrem Rechtsfrieden wieder näher kommen: 1992 hatte der damalige Innenminister Kinkel eine Versöhnungsinitiative der Bundesregierung mit der RAF gestartet. Details hier

Kann man ja mal denken, sowas ….

29.02.2024 – High sein, frei sein, Terror muss dabei sein.

Rio-Reiser-Platz, SO 36.

Das Biotop für Gammler, Terroristen und Haschsüchtige, die alles bestreiten, nur nicht ihren eigenen Lebensunterhalt. Wieso gehen die nicht nach drüben, wenn es ihnen hier nicht passt. Mit Sicherheit sitzen die gesuchten Garweg und Staub jeden Abend im „Goldenen Hahn“, der wohl legendärsten Kneipe in SO 36, wo wirklich die schrägsten Vögel dieses Biotops sitzen.

Eine negative Kollateralwirkung des ganzen Terrorrummels: Jetzt kommen noch mehr vergnügungssüchtige Dorfdeppen nach Kreuzberg auf der Suche nach irgendeinem Kick („Vielleicht treffen wir ja einen Terroristen“) und scheißen den Eingeborenen nach ihren Partyexzessen die Hauseingänge zu. Die mit Abstand größten Terroristen in Kreuzberg sind die Touristen.

Der Spruch in der Überschrift ist mir als Klospruch einer Szenekneipe erinnerlich. Mit dem Aufkommen von Graffiti in Deutschland ab den Siebzigern hielten auch mit Edding geschmierte Sprüche auf den Klos von Szenekneipen Einzug. Erst politisch, dann Nonsens, Scherz und dummes Zeug. Die Phantasie war an der Macht. Und von da leider nicht mehr zu vertreiben. Die Post68er waren die Zeit des Terrors, des Rock ‘n Roll, der entfesselten Kreativkräfte und der subversiven Intelligenz. Davon hatten die ersten beiden Generationen der RAF weniger, sie agierten teilweise kriminaltechnisch unterkomplex und hinterließen Spuren bei ihren Taten wie ein Hamster im Kornspeicher. Ihre Ideologie, ihr Leben, alles war offen wie ein Buch und lieferte Stoff für Bücher, Filme, Bilder, Mythen. Dass eine derart begrenzte Zahl von Menschen einen derart breiten und tiefen Strom sowohl im kollektiven Unterbewusstsein als auch in der realen Rechts- und Geistesgeschichte der BRD hinterließ, dürfte einmalig in der Nachkriegszeit sein.

Vollkommen anders dagegen die „Dritte Generation“. Über sie ist praktisch nichts bekannt. Interneteinträge über sie zeichnen sich durch eins aus: Formulierungen, die mit der Stange in der Nebel stochern wie: „vermutlich“, „liegt nahe“ , „ führen zur Annahme“ , „unzureichende Erkenntnisse“, „ gehen davon aus“ ziehen sich wie ein roter Faden durch die komplette Geschichte der Dritten Generation. Kurzes Beispiel der dürre Eintrag über Daniela Klette . Der über Ulrike Meinhof ist dagegen zehnmal so lang, ein detailliertes Buch. Ich bin mal gespannt auf den Prozess gegen Klette, wie viele urteilsfeste individuelle Tatbeteiligungen ihr da nachgewiesen werden können.

Als ich die Bilder in der rbb Abendschau gesehen habe, wie da kiloweise Kriegswaffen und so viel Munition aus ihrer Wohnung in SO 36 abtransportiert wurden, dass man damit die BuWe-Fregatte im Roten Meer ausstatten könnte, bin ich vor Lachen aus dem Bett gefallen. Diese Frau ist ja offensichtlich ein kriminaltechnisches Genie über Jahrzehnte gewesen. Unsichtbar, wie ein Phantom, ach, was sag ich, wie ein Elektron im Universum ist sie 30 Jahre dem Fahndungsdruck des bestausgerüsteten Polizeiapparates der Welt entkommen, die intelligentesten Profiler des Universums kamen ihr nie nahe, an jeder Mülltonne klebte ihr Gesicht auf Fahndungsplakaten. Aber erst Facebook Fotos machten ihr den Garaus, als also im Prinzip die ganze Welt wissen konnte, wer und wo sie war. Und dieser Ausbund an Intelligenz, krimineller Energie, Kreativität bunkert tonnenweise Kriegswaffen in der eigenen Wohnung? Wo schon die Deppen der Ersten Generation für sowas Erdbunker in Wäldern hatten?

Sie, liebe Leserinnen, werden verstehen, dass ich heute Morgen noch Bauchschmerzen von Lachkrämpfen gestern auf dem Fußboden hatte, als eigener Bettvorleger.

Im § 243 der Zivilprozessordnung ist der sogenannte gerichtsfeste Plausibilitätsbeweis geregelt, Zitat:
…. Der Plausibilitätsbeweis ist eine Alternative zu Beweisen im engeren Sinne. Er gibt keine Gewissheit, sondern besagt lediglich, dass eine bestimmte Aussage hinsichtlich einer bestimmten Tatsache plausibel ist.“ Und zur Verurteilung führt. Der Plausibilitätsbeweis wird z. b. in Vergewaltigungsprozessen angeführt. Die meisten Vergewaltigungen finden in Beziehungen statt, wo es keine Zeugen gibt. Hier greift die Plausibilität.

Hausaufgabe für nächste Woche: Die Anwendung der Plausibilität auf die Causa Klette, unter der besonderen Berücksichtigung der Funde von Kriegswaffen in ihrer Wohnung.

Darüber schreiben wir eine Klassenkampfarbeit, die Eingang in Ihre Noten findet!

29.02.2024 – Die 4. Generation

BILD

Erbsenkraut. In diesem Stadium sollte es geerntet werden, kann natürlich auch eingefroren werden. Es empfiehlt sich, immer zwei Kulturen in Arbeit zu haben, um ein paar Tage phasenverschoben, dann gibt’s regelmäßig Frischzeug.

Die RAF übt offensichtlich auch als Untote noch Faszination aus. Vielleicht gerade in Krisenzeiten wie diesen, weil ihr Ansatz der Versuch einer Krisenintervention war, und wir mittlerweile am vorläufigen Ende einer demokratischen Fortschrittserzählung angekommen sind. Der Gewalt-Ansatz der RAF war ein untauglicher. Dazu ist eigentlich in den letzten Jahrzehnten alles gesagt worden. Nur noch nicht von mir. Und weil eventuell einiges vergessen ist, Jüngeren vieles nicht bekannt und das Meiste eher untaugliches Mainstream- Blabla, hier eine kurze Aktualisierung mit Bezug auf Heute:

 Der RAF-Gewaltansatz war politisch fasch, weil die BRD damals kein faschistischer Staat war. Er war ethisch falsch, weil er Unbeteiligte traf und in seinem Antizionismus antisemitische Elemente hatte. Er war gesellschaftlich falsch, weil er keine Unterstützung in der breiten Bevölkerung hatte und mit dem deutschen Herbst 77 eine Phase gesellschaftlichen Rollbacks einleitete. Der Staat reagierte auf die Gewalt mit massivem Ausbau von Überwachung und Polizeistrukturen, es war ein, Zitat „nichterklärter Ausnahmezustand“.

Parallel zur Zunahme von Repression endete das „Goldene Zeitalter“ des Kapitalismus“ mit deutlichen Lohnsteigerungen, Ausbau des Sozialstaates und der individuellen Freiheitsrechte. Es begann die Zeit der bleiernen Stagnation und der Nachrüstung der Achtziger, bevor in den Neunzigern der grenzenlose Siegeszug des Neoliberalismus begann. Der allgemeine Fortschrittsglaube war auf gesellschaftlicher, ökonomischer und technologischer Ebene (mit dem Atomunfall von Harrisburg 79 zeichnete sich für alle sichtbar das Atommenetekel ab) nachhaltig erschüttert. Die Geschichte der RAF ist Teilbestand dieser Entwicklung, die man bei der Auseinandersetzung mit ihr mitlesen sollte.

Bleibt die Frage, wann ist Gewalt im politischen Raum legitim. Unstrittig ist der Tyrannenmord, also Attentate auf Hitler, Mussolini, Franco. Was wäre mit Putin? Erdogan sicher nicht, weil, bei aller klammheimlichen Freude, wenn den jemand in die Luft jagen würde: Der Mann wurde demokratisch gewählt und bei allen Beschränkungen, das ist noch immer eine Demokratie, er kann wieder abgewählt werden. Die Demokratie müsste also formal und real abgeschafft sein, der Staat mit Terror auf die Bevölkerung, Minderheiten reagieren, also Konzentrationslager, willkürliche Ermordung Einzelner und Angriffskriege beginnen. Die Crux dabei: In dem Zustand wäre ein faschistisches System wahrscheinlich schon so stabil, dass Gegengewalt sinnlos wäre. Ein klassisches ethisches Dilemma und allein aus dem Grund muss die Demokratie, auch in diesem Zustand, erhalten werden.

Die Frage einer vierten Generation stellt sich also zur Zeit eher auf ökologischer Ebene, ob Gewalt zum Erhalt des Planeten legitim ist. Da kann ich nix zu sagen, ist nicht mein Gebiet, ich fliege.

Zumal auch bestimmte Umstände um die 3. RAF-Generation merkwürdig sind. Über die weiß man im Gegensatz zu den anderen Generationen oder ähnlichen Gruppen im Ausland wie den Roten Brigaden extrem wenig. Fast nichts.

Mindestens die Morde am Treuhandchef Rohwedder und Deutsche-Bank Boss Herrhausen ließen Verschwörungserzählungen ins Kraut (kein Erbsenkraut!) schießen, über eine Beteiligung der Stasi, der Geheimdienste, im Fall Herrhausen radikaler Vertreter des Kapitals, weil er für einen Schuldenschnitt für den globalen Süden plädierte.

Ich glaube das nicht. Es ändert ja auch nichts am Schicksal der Beteiligten und am Gang der Geschichte. Aber überraschen würde mich nichts. Ich traue allen Genannten alles zu. Das allerdings ist nicht justiziabel.

Was bleibt: Eine klammheimliche Vorfreude auf meinen nächsten SO 36-Dokumentationsgang zu Soli-Bekundungen für Daniela Klette und den Rest der Gang. Phantasievoll sind die da ja …

28.02.2024 – Klammheimliches Bedauern

Zu früh. Japanische Blutpflaume, Blütenbeginn. Ein zauberischer Anblick im Garten, wenn das zart weißrosa Blütenmeer in ein paar Tagen seine blendende Helligkeit ausbreitet, inmitten der noch trostlos gräulichen, nur vom ersten Rosengrün und den allfälligen Krokussen besprenkelten Restvegetation.  

Zu spät ist es für den Staat hingegen nie. Mit eiserner Härte klebt er an den Resten der dritten Generation der RAF und hat nun Erfolg, wohl nach der TV-Oberpetze-Sendung „Aktenzeichen XY“. Daniela Klette wurde im SO 36 Teil von Kreuzberg festgenommen.

Als ich die Meldung las, war mein erstes Gefühl: Schade. Dient das jetzt noch substanziell dem Rechtsfrieden?

Ein klammheimliches Bedauern. Diese Codierung muss ich für die nach 1965 Geborenen erklären. „Klammheimliche Freude“ empfand der sogenannte Göttinger Mescalero in einem Artikel angesichts der Ermordung des damaligen Generalbundesanwaltes Siegfried Buback durch die RAF, ohne diesem Mord zuzustimmen und gegen derartige Terrorakte argumentierend.  Also durchaus differenzierend. Zitat:  „Der Göttinger Mescalero war der pseudonyme Autor des Textes Buback – Ein Nachruf, der 1977 die Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback durch die Rote Armee Fraktion (RAF) in einer Weise kommentierte, die in der Öffentlichkeit vor allem als Zustimmung zu dem Mord gewertet wurde, obwohl der Autor in Wirklichkeit gegen solche Terrorakte argumentierte. Die Mescalero-Affäre führte zu einer kontrovers geführten, öffentlichen Debatte über Sympathisanten und das Verhältnis der extremen Linken zum Terrorismus der RAF. „

Die RAF besaß damals im juste milieu der radikalen Linken und darüber hinaus durchaus in bürgerlich-liberalen Kreisen eine nicht geringe Zustimmung und auch Unterstützung. Es galt für die, die Gewalt auch in der bürgerlichen Demokratie im Prinzip als Widerstandsmittel legitim hielten: Gewalt ist illegal, aber legitim. Die Grenze für die Meisten bildete Gewalt gegen Personen. Diese Grenze überschritten nur wenige.

In der Theorie waren sich alle weitgehend einig: Wir leben in einer Klassengesellschaft (richtig). Der Staat ist lediglich demokratische Fassade und Handlanger des Kapitals (halbrichtig). Das Kapital beutet die elenden Massen weltweit erbarmungslos aus (fast richtig). Die Gesellschaft, das Volk (!, oje, völkischer Alarm) wird verdummt und verblendet, muss nur aufgeklärt und agitiert (vor dem Werkstor) werden und wartet bloß auf ein revolutionäres Terror-Fanal der kämpfenden Avantgarde, um loszuschlagen (entsetzlich falsch). Vor dem Werkstor gab’s auf die Fresse beim Flugi verteilen und der Mob wollte nur eins: Häuschen, Auto, Urlaub, Bild und Glotze.

Der hier beschriebene Gegensatz Staat – Gesellschaft existiert nach wie vor noch. Nur haben sich die Vorzeichen radikal geändert. Sollte damals die aufzuklärende Gesellschaft gegen ein als faschistoid denunzierten Staat in Stellung gebracht werden, sieht die Realität heute so aus: Der bürgerliche Staat ist bei aller Kritik mit seinen verrechtlichten Institutionen (Justiz) eine der letzten Brandmauern gegen den grassierenden Faschismus in der Gesellschaft. Und so schwer es allen Staatsskeptikern (wie mir) auch fallen möge, ist dieser Staat und damit die Restdemokratie, zu verteidigen. Gegen seine Insassen. The times they are a changing.

Nichtsdestotrotz habe ich nach wie vor Sympathien für den reflektierten Ansatz der RAF, natürlich nicht für Desperados und Faschisten wie Baader und Horst Mahler, aber für Ulrike Meinhof , stellte er doch das Verhältnis Staat – Gesellschaft – Individuum in der BRD vor neue Fragen, wie: Wann wird Widerstand nötig, gar zur Pflicht. Gemäß dem Diktum: Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.

Die Realität da draußen, jenseits meines Kopfes und meines Schreibtischs, wird immer surrealer. Wie ein Film. Und in diesem Film hätte ich es als versöhnlich empfunden, wenn Daniela Klette hinaus in die untergehende Sonne geritten wäre und der Sheriff im Saloon zu seinen Marshals geflucht hätte: „Verdammt, wieder entwischt. Die kriegen wir nicht mehr“.

Und so gilt meine klammheimliche Sympathie den beiden flüchtigen Burkhard Garweg und Ernst-Volker Straub. Jungs, haltet durch. Und macht einen Bogen um SO 36.

27.02.2024 – Blick in die Zukunft: Eskalationen.

DEMOKRATIE IN PROGRESS. 2023. Ein köstlicher Witz, aber nicht so gemeint. Was das alberne Denglisch an der Stelle soll, weiß ich nicht. Das hier abgebildete Futurium  Berlin ist der einzige Neubau im Umfeld des Hauptbahnhofes, der keine architektonische Vollkatastrophe ist. Für den Rest da wünscht man sich einen Berliner Nero, der ja damals Rom abfackelte. Oder besser noch einen Georgi Dimitroff und Marinus van der Lubbe .

Ein Blick ins reale Futurium, ob I oder II, lässt nichts Gutes ahnen. Unter der Überschrift „Eskalation“ genügt ein kurzer Blick in die Schlagzeilen der letzten Stunden. Fangen wir mit plattem Symbolismus an: Der Februar wird der mit weitem Abstand wärmste Februar seit Wetteraufzeichnungen. In der Referenz-Periode 1960 bis 1990 lag die Durchschnittstemperastur bei 0,6 Grad, zurzeit liegt sie bei 7,1 Grad, das entspricht eher einem April. Ich finde das sehr angenehm, objektiv ist das eine Katastrophe.

Der Rest der Eskalationen ist sehr unangenehm und ebenfalls katastrophischen Charakters:

Macron schließt den Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine nicht aus. Die Nato ist Russland da um das Fünffache überlegen . Wie wird der Russe, man kennt ihn ja, den Russen, da wohl reagieren? Ratehinweis: Der einzige Militärsektor, wo zwischen Nato und dem Russen ungefähr Gleichgewicht herrscht, sind Kernwaffeln.

Eskalieren wir mal weiter: In Brüssel flippten die Bauern gestern völlig aus. Eine wunderschön rhythmische Überschrift des BR beschreibt das stinkende und brennende Szenario: Brände, Gülle, Pyro . Das wird der Titel meiner nächsten LP: Brände, Gülle, Pyro. Es gibt zurzeit mehrere Fraktionen bei den Bauern: Ultrareaktionäre, Demokratiefeinde und Faschisten. Dass die in Biberach Autos die Scheiben einwarfen und die Absage einer Grünenveranstaltung erzwangen, weil Leib und Leben der Beteiligten nicht mehr zu schützen waren, ist schon fast vergessen. Unter diesem Link auch weitere Eskalationen.  Gerade erst wurde das Haus eines SPD-Lokalpolitikers in Thüringen von Faschisten abgefackelt …. Im bayerischen Wahlkampf warf ein Mann einen Stein in Richtung des Spitzenduos Katharina Schulze und Ludwig Hartmann. Anfang des Jahres versuchten einige aufgewiegelte Protestierende in Schlüttsiel, eine Fähre zu stürmen, auf der der grüne Vizekanzler Robert Habeck unterwegs war …. Wenn man sich bei den Grünen umhört, erfährt man von Angriffen, die nicht öffentlich werden sollen. Man hört Geschichten von Rechtsextremen, die ein Büro gestürmt haben und von Planungen fürs Exil, für den Fall der Fälle. Usw, usf. Eine endlose, eskalierende Folge von nicht nur faschistischen Übergriffen. In Bautzen haben am Sonntag rund 1400 Menschen gegen Rechtsextremismus demonstriert . Ohne Schutz der Polizei geht das nicht. Denn rechte, aggressive Jugendliche warten an jeder Ecke. In der Ostzone ist antifaschistischer Einsatz brand(siehe oben)gefährlich, eine völlig andere Situation als in BRD-Städten. Demokratie in progress? Hahaha ….

Den Blick in eine mögliche Zukunft versteht man besser mit einem in die Vergangenheit. Im Vorfeld der Reichstagswahlen von 1932 kamen bei Straßenschlachten fast 100 Menschen zu Tode. Höhepunkt war die Straßenschlacht des Altonaer Blutsonntags, an dem zwei Nazis durch Polizeikugeln starben und im Verlauf 16 weitere unbeteiligte Personen von Polizisten erschossen wurden. Der Blutsonntag war eine Folge der Provokation von Nazis, im Zusammenspiel mit der Altonaer SPD-Führung . Es ging dabei gegen das mehrheitlich kommunistische Altona, in Fachkreisen „Klein-Moskau“ genannt. Am Ende dieser Eskalation stand 6 Monate später das Ende der Demokratie. Demokratie on fire.

Da kann man nur froh sein, dass es keine Kommunisten mehr gibt und die Sozis heute völlig anders drauf sind: Nämlich so, wie die größte Pfeife in ihrer Nachkriegsgeschichte, ein gewisser Herr Steinbrück. Dieser SPD-GRÖLOS, der größte SPD-Wahlloser aller Zeiten, rammt seinem Kanzler Scholz schon mal präventiv das Messer in den Rücken , wie unter anderem im Fachblatt für Dreck & Unrat zu lesen ist. Eine Krähe hackt der anderen auch schon mal beide Augen aus, vor allem, wenn sie am Boden liegt.

Und das ist dann mal zum Schluss eine Eskalation, bei der ich herzhaft lachen musste.

26.02.2024 –Antisemitische Schickeria-Stalinisten

HKW, Haus der Kulturen der Welt, schwangere Auster genannt. Architektonisch singulär, direkt an der Spree gelegen, ein zauberhafter Ort für Open-Air-Konzerte und ambitionierte Kulturveranstaltungen. Dort war die diesjährige Berlinale zu Gast. Auch dieses deutsche kulturelle Großereignis schaffte es wie die Documenta mit traumwandlerischer Sicherheit, den ganzen antisemitischen Unrat der Schickeria-Stalinisten, die sich Künstler nennen, nach außen zu kehren. Dankbar kann man sein, dass das ganze Ausmaß dieses Antisemitismus sichtbar gemacht wurde, womit sich der Kultursektor ins ethische Aus manövriert hat und beide Events, Documenta und Berlinale, irreparabel beschädigt wurden. Nicht nur wegen der skandalösen Solidarität der Kulturschaffenden aus aller Welt mit der faschistischen Hamas, sondern auch wegen des komplett ausbleibenden Protestes von eventuell andersdenkenden Anwesenden, dem Versagen der Verantwortlichen, die die Veranstaltung sofort hätten abbrechen müssen, und der bisher zahnlosen Reaktion aus der Politik. Dass die völlig überforderte Iran-Sympathisantin und BDS-Unterstützerin Claudia Roth, früher im autonomen Umfeld von Ton, Steine, Scherben tätig und dringend des notorisch pseudolinken Antisemitismus verdächtig, als mitverantwortliche Staatsministerin immer noch im Amt ist, ist ein ebenso trauriger Witz, wie die Tatsache, dass den genannten beiden Events immer noch nicht die Steuergelder gestrichen wurden. Claudia Roth war von 1971 bis 1990 Mitglied bei den Jungdemokraten, der ehemaligen rebellischen (!) Jugendorganisation der FDP, also auch während ihrer Arbeit für die Scherben. Das nenne ich maximale Geschmeidigkeit. Ein guter Sheriff trägt eben immer zwei Colts im Gürtel. 1992 fusionierten die Jungdemokraten mit der Marxistischen Jugendvereinigung Junge Linke. . Solche Geschichten kann man sich gar nicht ausdenken.

Somit haben sich zwei meiner Bezugspunkte in Nichtwohlgefallen aufgelöst, die, soweit überhaupt noch vorhandene, Linke und der Kultursektor. In beiden herrscht offensichtlich derart flächendeckender Antisemitismus vor, dass sie als Projektions- oder gar Identifikationsfläche nicht mehr taugen. Kein Verlust. Eine Linke, die antisemitisch ist, ist keine Linke, und eine antisemitische Kultur ist keine, sondern eine Unkultur.

Mit Antisemiten ist eine Diskussion nicht möglich. Der Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden. Anders als das Vorurteil ist das Gerücht mit Fakten und Argument nicht aus der Welt zu schaffen. Das Gerücht gerinnt in der Verschwörungserzählung zum anhaltenden Wabern über Generationen hin. Man hat es ja schon immer gewusst, der Jude und das Kapital …. Zitat: „Imponieren Verschwörungserzählungen durch ihre Aufklärungsresistenz – ähnlich einem Wahn können sie jeden Widerspruch integrieren –, nehmen sie dem Gerücht gerade den flüchtigen, reversiblen Charakter, geben ihm eine Form, in der es Generationen überdauern kann.“

Ich hatte z. B. wie fast alle hiesigen Alternativlinken das Vorurteil, die EXPO 2000 in Hannover sei Teufelszeug, mit der das Kapital seine neoliberale Agenda hinter dem schönen Schein durchdrücken wollte, um nur ein besonders skurriles Vorurteil zu nennen. Durch Fakten und vor allem vor Ort Inaugenscheinnahme habe ich mich vom Unsinn des Vorurteils überzeugen lassen. Es war einfach eine tolle rauschende Party, das Einzige, was ich daran bedauere, nicht viel öfter da gewesen zu sein. Nie wieder wird hier so viel Welt auf so kompaktem Raum sein. Der Alternativ-Spießer mied im Normalfall die Expo wie der Teufel das Weihwasser, nach dem Motto; Gott erhalte mir mein Vorurteil, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Und so wurde aus dem Vorurteil das Gerücht, dass die EXPO Teufelszeug gewesen sei und das werden Sie niemals aus der Welt treten können. Hier ist die Aufklärung an ihrer Grenze.

Was bleibt, ist die Forderung: Keine Steuergelder für Documenta und Berlinale, für alle Veranstaltungen und Projekte, die als Unterstützer der faschistischen Hamas in Erscheinung treten, und keine Auftrittsmöglichkeiten für so agierende Kulturschaffende. Wer dem Staat Israel die Existenzberechtigung abspricht, und nichts anderes tut der Spruch: From the River to the sea , ist Antisemit. Und Antisemitismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

25.02.2024 – Liminale Räume und Lost places

Liminaler Raum: Einkaufszentrum Mauritius-Kirch-Center, Berlin-Lichtenberg

Liminale Räume sind menschengemachte Räume, die ihre Funktion verloren haben und auf eine neue warten. Ich beschränke mich hier auf private Bauten zum Zweck der Profitmaximierung im öffentlichen Raum, wie z. B. Investorenfinanzierte Einkaufszentren. Sie sind Räume der Veränderung und Innovation, Räume, in denen alles möglich scheint und die sich ständig im Wandel befinden.

Liminale Räume unterscheiden sich von den popkulturell bekannten sogenannten Lost places, korrekt eigentlich: off maps, die zumeist dem Verfall anheimgegeben sind. Liminal Spaces als entwicklungsoffene Räume sind eine Repräsentanz des derzeitigen Zustandes unserer Demokratie: Vom Übergang zum Scheitern  …. ? Sie sind aber auch oft konkretes Produkt und Ergebnis normaler Profitgier eines alltäglichen Kapitalismus, der damit die Grundlage und Voraussetzung des Scheiterns von Demokratie produziert. Liminale Räume sind also beides: Repräsentanz und Symbol, aber auch materielle Realität.

Hier im Detail das Beispiel, auf das ich zufällig beim Klappradgestützten Flanieren durch Berlin-Lichtenberg stieß. Das Mauritius-Kirch-Center MKC , ca. 1996 errichtet.

MKC, Atelier & Abendmodenverleih. Dadaismus der Realität ….Durch diese Orten schweben wie nirgends sonst in Metropolen körperlich spürbare Wellen von Melancholie, Sehnsucht, Freude am Entdecken, am Abseitigen, von kontemplativer Ruhe … Es muss nicht immer das Brandenburger Tor sein oder Disney-Prenzelberg. Wenn Sie wissen wollen, was Flanieren ist: Das.

Nach der Finanzkrise 2008 ging es dort stetig bergab, Investoren gaben sich die Klinke in die Hand, der letzte Eigentümer, die Euroboden GmbH, ist pleite. Ihr vermutlicher Plan, aus dem Klotz teuren Büroraum zu machen, ist am Zusammenbruch des Office-Immobilienmarktes gescheitert. In der Marktanalyse von Jones Lang LaSalle ist dieser Zusammenbruch noch vornehm umschrieben . In Berlin stehen zig Bürobauprojekte halbfertig, unangefangen oder pleitegegangen leer, mit absehbar Null Chancen auf Realisierung. Homeoffice nach Corona, Digitalisierung, Rezession und Strukturwandel der Arbeitswelt haben den hochfliegenden Plänen den Garaus gemacht. Bleibt abzuwarten, bis diese Krise, die noch überwiegend eine in den Bilanzen der Investoren und Banken ist, ähnlich wie damals bei Lehman auf die reale Restwirtschaft durchschlägt. Das war damals die größte Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg …

Es gibt Ansätze, die hier einen geschlossenen Kreis zum Sommer der Anarchie 1990 sehen, als die Mauer gefallen war und im Osten unglaublich viele Häuser, Wohnungen, Räume leer standen, liminale Räume. Daraus entstand letztlich die Kultur-Metropole Berlin, in die es heute jedes Jahr Millionen zieht. Dass sich auf Grund des aktuellen Leerstands eine ähnliche Chance ergibt, sehe ich allerdings nicht. Zu verschieden ist die Situation. Damals rechtsfreie Räume der Anarchie eines zusammengebrochenen DDR-Systems. Heute das schier unüberwindliche System eines Kapitalismus, dessen Rechtsgrundlage die quasireligiöse Unantastbarkeit des Eigentums ist. Besetztes wird sofort mit maximaler Gewalt geräumt. Und statt einer Pleite-DDR wie Ende der 80er haben wir es mit Milliardenschweren Investoren zu tun, die jahrelang jede Krise spekulativ aussitzen, in der Hoffnung auf veränderte Immobilienbedingungen.

Den Hinweis auf den Begriff der „liminalen Räume“ verdanke ich der intellektuellen Fraktion meines Kreuzberger Domizils, der dafür der Dank gebührt.

24.02.2024 – Über Metropolen und die Paradoxie des Kapitalismus

Karneval der Kulturen in Berlin

Wer von der mit 52 Metern höchsten innerstädtischen Erhebung Berlins, dem Kreuzberg, auf die Stadt schaut, der tut sich ein flacher Pfannkuchen öder Langeweile bis zum Horizont auf. Unterbrochen nur vom architektonisch gelungenen Hochhausensemble Potsdamer Platz. Der allerdings städtebaulich eine Katastrophe ist. Ein zombiesker Unort, den Eingeborene meiden. Übertroffen in seiner Trostlosigkeit nur vom nebenan befindlichen Kulturforum. Eigentlich ein Zentrum der Kultur in Deutschland, mit Neuer Nationalgalerie,   Kupferstichkabinett, Gemäldegalerie, dem gigantischen im Bau befindlichen berlin modern , teuerster Museumsneubau der BRD, der Philharmonie, dem Kammermusiksaal, der Staatsbibliothek, dem Ibero-Amerikanischen Institut etc. pp. . Realiter ist der Ort toter als der Zentralfriedhof, ein einziges städtebauliches Desaster, an dem sich niemand länger als nötig aufhält. Keine Bar, keine Restauration, kein Grün, nur eine erweiterte Blech-Pommesbude mit Bierbetrieb. Beide Orte mit zehntausenden Quadratmetern wurden von der Berliner Betonmafia CDU/SPD der Profitgier und dem Größenwahn nach der Wiedervereinigung zum Fraß vorgeworfen und unverdaut wieder ausgeschissen.

Berlin ist anders als London keine Metropole der Architektur, die Hochkultur schwebt als metropolitane Blase über der Stadt. Berlin ist keine Finanzmetropole wie Frankfurt und schon gar kein Wirtschaftszentrum wie München. Die paar DAX-Konzerne, die hier ihren Sitz hatten, sind alle im Orkus verschwunden, wie die Gangster von Deutsche Wohnen oder Geldverbrenner wie Delivery Hero oder Hello fresh.

Berlin hat seinen berechtigten Ruf als einzige Weltstadt Deutschlands, als Metropole eben, dem sub- und alltagskulturellen Geschehen zu verdanken. Alles, was an öffentlicher Inszenierung jenseits des Mainstreams hier stattfand, an Tekknokellern, Clubs, Bars, Galerien, Ateliers, an schrägen Vögeln, Restaurants, an verschonten Lost Places und fluiden liminalen Räumen, hat den Ruf Berlins ausgemacht. Und macht ihn immer noch aus, obwohl der Würgegriff des Kapitals, der Gentrifizierung und der Berliner Spießer alles tut, um die Reste der alternativen Szene, der Subkultur und der anarchischen Räume zumindest im innerstädtischen Bereich zu erdrosseln. Und damit dem Geschäftsmodell Berlins den Garaus macht. Paradoxie des Kapitalismus.

Es ist also die Kultur, die Sphäre von Bewusstsein und Identität, und nicht die Ökonomie, die Sphäre von Sein und Interesse, die die Aura von Berlin ausmacht.

Das ist deshalb von allgemeinem und überragendem Interesse, weil es zumindest den Zustand allgemeinen Handelns und Kommunikation in derzeitiger demokratischer Öffentlichkeit widerspiegelt. Der Prolet und der Mob wählen AfD, obwohl sie massiv gegen deren materielles Interesse verstößt. Die Ersten in den sozialen Brennpunkten, die ins Arbeitslager kommen bei Machtübernahme der AfD, sind jene Arbeitslosen, die sie jetzt wählen. Und die Ersten, die zu kostenloser Zwangsarbeit verpflichtet werden zwecks Landschaftspflege o. ä., sind jene derzeit gutbezahlten Industriefacharbeiter, die jetzt AfD wählen, aber später Verlierer des Technologiewandels werden.

Sie alle wählen AfD aus Gründen einer vermeintlich kulturellen (und völkischen) Identität, wegen Zuwanderung, innerer Sicherheit, zu viel Wokeness, zu viel Gendersprache, zu viel Minderheit-Rechten, zu viel Frauenkrams, zu viel „Eliten“ …. Von allem zu viel. Zu viel Demokratie …

Das ist von beträchtlicher Bedeutung für Strategien zum Erhalt von Demokratie. Die setzen immer noch am Diskurs der Aufklärung an, am Argument, welches am Interesse des Gegenübers ansetzt. Wenn das aber nicht greift – was dann …?