Stadtmagazin Schädelspalter, Hannover, 13. August 1992. 8.30 Uhr SCHUPPEN 68 Sternfahrt, um das Rad der Geschichte wieder zurückzudrehen. Wenn die Mauer wieder steht gibt es Freibier und Erbsensuppe.
Diese Aktion ist in jeder Hinsicht so grandios, so makellos, so brillant, von so messerscharfer Analysepräzision und hellseherischer Weitsicht, dass ich vor dem Initiator verehrend das Knie neigen würde, wäre ich der nicht selbst gewesen. Diese kompromisslose politische und ästhetische (wann hätten jemals Sackkarren, Freibier und Erbsensuppe in der zeitgenössischen Kunst eine Rolle gespielt, obwohl sie konstituierend für den Alltag von Millionen BRD-Insassen stehen?!) Radikalität ist ein Grund dafür, warum der Kunst- und Politikbetrieb in der BRD mich niemals hat hochkommen lassen. Ok, Faulheit, mangelndes Talent, keine Zeit, kein Geld und Desinteresse mögen auch eine Rolle gespielt haben, aber anhören tut sich diese Opferrolle schon gut.
Die Mainstream-Rede von einer deutschen Einheit war damals Quatsch und sie ist heute noch viel Quätscher. Der Handlungsauftrag zur Herstellung gleichwertiger nationaler Lebensverhältnisse in der BRD resultiert aus § 72 GG . Ein Blick in die Wirklichkeit jenseits von Paragrafen zeigt: Die Lebensverhältnisse in der BRD sind so ungleichwertig wie nie zuvor. Immer mehr Obdachlose, Menschen, die in Mülltonnen wühlen, die Suppenküchen aufsuchen müssen, während sich immer mehr vollkommen leistungsunwillige, faule, nie einer Arbeit nachgehende Milliardenerben in obszönem Reichtum suhlen. Mir ist es dabei scheißegal, ob das in Niedersachsen, Berlin oder Thüringen stattfindet. Es findet statt und genau das ist das Problem im Kapitalismus. Und nicht irgendwelche Uneinheitlichkeiten zwischen Leipzigern oder Hannoveranern, Friesinnen oder Mecklenburgerinnen, Sachsen oder Bayern. Ohne Kohle ist es überall Scheiße.
Dieses salbungsvollen Reichseinheizgequatsche dient nur dazu, den Mob mit Nationalgeist abzufüllen, damit er die wahren Ursachen der Probleme in unserer Gesellschaft nicht erkennt und schon gar nicht nach fortschrittlichen, demokratischen Lösungen sucht. Lieber auf Asylanten rumhacken.
Natürlich bin ich nach wie vor dafür, die Mauer wieder hochzuziehen, aber ich bin auch dafür, eine Mauer um Nazikieze in Dortmund zu ziehen, den antisemitischen Mob aus Neukölln einzumauern. Wir brauchen mehr Mauern! Schafft ein, zwei viele Mauern. Mauer to the People! Niemand hat die Absicht, keine Mauer zu bauen!
Dieses naive Anti-Mauern Gerede geht mir ehrlich gesagt auf den Keks. Keine Zivilisation ohne Mauern. Oder was glauben Sie, was Ihr Haus aufrechterhält? Spucke und Grundgesetz-Paragrafen? Nein, Mauern!
P. S.: Für die Älteren charmant die Zeitreise auf dem Auszug oben: Das literarische Quartett mit Reich-Ranicki, Löffler und Karasek… etc….