18.04.2025 – Ins eigene Knie gefickt

Kreuzberg 1, Graefekiez. 33 qm, 1.390 Euro.

Kreuzberg 2. Herrengedeck 3,50 Euro. Eine Flasche Kindl und ein Korn. Bei mir umme Ecke, drei Minuten zu Fuß.
Den Graefekiez trennen von der Herrengedeck-Kneipe „Gaststätte am Kreuzberg“ mit dem Radl 12 Minuten. Und Welten. Die Menschen, die in der untergehenden Sonne beim Herrengedeck auf den zauberhaften Viktoriapark schauen, haben im Normalfall keinen Zugang zur Lebenswelt von Menschen in Wohnungen im Graefekiez mit einem Quadratmeterpreis von 42 Euro. Sie alle leben aber in einer Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die gegen derart perverse Mietauswüchse seit Jahren keine nachhaltige Handhabe findet.
Da die perversen Mietauswüchse aber wie ein Krebsgeschwür langsam und unaufhaltsam vom Graefekiez in Richtung Herrengedeck wuchern, kommen beide Parteien doch zusammen. Ohne es zu wissen, hinter ihrem Rücken. Die, denen irgendwann ihr Herrengedeck aus der Hand geschlagen wird, weil die „Gaststätte am Kreuzberg“ die Miete nicht mehr zahlen kann und einem Sternerestaurant weichen muss, von denen es in Berlin so viele wie nirgendwo in der Republik gibt, wehren sich ja jetzt schon auf ihre Art. Sie wählen die AfD.
Und die wird irgendwann mit den Kindern der gutsituierten Grünen-Wähler*innen, die sich locker mal ein paar Monate Party in Berlin für 1.390,- Miete im Monat leisten können, einen ganz anderen Tanz aufführen, als jenen, den es auf dem Karneval der Kulturen oder in den Clubs wie Gretchen, Wilde Renate etc. gibt. Die Vorlage für dieses Drehbuch gibt es schon lange, seit ca. 100 Jahren. Dort existierte in der Zossener Straße, 10 Minuten zu Fuß vom Herrengedeck, eine der Subkulturen der Weimarer Republik, Huren, Dichter, Schwulenlokale. Die Zossener Straße bildete eine Inspiration für das Drehbuch zum Film „Cabaret“ , auf der Basis der Romane von Christopher Isherwood. Die Protagonist*innen der Zossener Straße landeten später in den Lagern der Nationalsozialisten und wurden dort nicht selten zu Tode geprügelt.
Ich habe keine Glaskugel und es ist vielleicht zu dialektisch um drei Ecken gedacht. Aber auszuschließen ist es nicht, dass sich die Protagonist*innen des Graefekiezes mit ihren 42 Euro pro Quadratmeter, sei es als Mieter oder Vermieterin, ganz gewaltig ins eigene Knie ficken.
Ich müsste aber lügen, wenn ich behaupte, das mir derartige Gedanken in der Abendsonne beim Genuss eines Herrengedecks durch den Kopf gehen… Die sind eher Kopfgeburten am Tag nach der Nacht. Sozusagen intellektueller Kater.

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