Kategorie-Archiv: Schuppen aktuell

25.02.2024 – Liminale Räume und Lost places

Liminaler Raum: Einkaufszentrum Mauritius-Kirch-Center, Berlin-Lichtenberg

Liminale Räume sind menschengemachte Räume, die ihre Funktion verloren haben und auf eine neue warten. Ich beschränke mich hier auf private Bauten zum Zweck der Profitmaximierung im öffentlichen Raum, wie z. B. Investorenfinanzierte Einkaufszentren. Sie sind Räume der Veränderung und Innovation, Räume, in denen alles möglich scheint und die sich ständig im Wandel befinden.

Liminale Räume unterscheiden sich von den popkulturell bekannten sogenannten Lost places, korrekt eigentlich: off maps, die zumeist dem Verfall anheimgegeben sind. Liminal Spaces als entwicklungsoffene Räume sind eine Repräsentanz des derzeitigen Zustandes unserer Demokratie: Vom Übergang zum Scheitern  …. ? Sie sind aber auch oft konkretes Produkt und Ergebnis normaler Profitgier eines alltäglichen Kapitalismus, der damit die Grundlage und Voraussetzung des Scheiterns von Demokratie produziert. Liminale Räume sind also beides: Repräsentanz und Symbol, aber auch materielle Realität.

Hier im Detail das Beispiel, auf das ich zufällig beim Klappradgestützten Flanieren durch Berlin-Lichtenberg stieß. Das Mauritius-Kirch-Center MKC , ca. 1996 errichtet.

MKC, Atelier & Abendmodenverleih. Dadaismus der Realität ….Durch diese Orten schweben wie nirgends sonst in Metropolen körperlich spürbare Wellen von Melancholie, Sehnsucht, Freude am Entdecken, am Abseitigen, von kontemplativer Ruhe … Es muss nicht immer das Brandenburger Tor sein oder Disney-Prenzelberg. Wenn Sie wissen wollen, was Flanieren ist: Das.

Nach der Finanzkrise 2008 ging es dort stetig bergab, Investoren gaben sich die Klinke in die Hand, der letzte Eigentümer, die Euroboden GmbH, ist pleite. Ihr vermutlicher Plan, aus dem Klotz teuren Büroraum zu machen, ist am Zusammenbruch des Office-Immobilienmarktes gescheitert. In der Marktanalyse von Jones Lang LaSalle ist dieser Zusammenbruch noch vornehm umschrieben . In Berlin stehen zig Bürobauprojekte halbfertig, unangefangen oder pleitegegangen leer, mit absehbar Null Chancen auf Realisierung. Homeoffice nach Corona, Digitalisierung, Rezession und Strukturwandel der Arbeitswelt haben den hochfliegenden Plänen den Garaus gemacht. Bleibt abzuwarten, bis diese Krise, die noch überwiegend eine in den Bilanzen der Investoren und Banken ist, ähnlich wie damals bei Lehman auf die reale Restwirtschaft durchschlägt. Das war damals die größte Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg …

Es gibt Ansätze, die hier einen geschlossenen Kreis zum Sommer der Anarchie 1990 sehen, als die Mauer gefallen war und im Osten unglaublich viele Häuser, Wohnungen, Räume leer standen, liminale Räume. Daraus entstand letztlich die Kultur-Metropole Berlin, in die es heute jedes Jahr Millionen zieht. Dass sich auf Grund des aktuellen Leerstands eine ähnliche Chance ergibt, sehe ich allerdings nicht. Zu verschieden ist die Situation. Damals rechtsfreie Räume der Anarchie eines zusammengebrochenen DDR-Systems. Heute das schier unüberwindliche System eines Kapitalismus, dessen Rechtsgrundlage die quasireligiöse Unantastbarkeit des Eigentums ist. Besetztes wird sofort mit maximaler Gewalt geräumt. Und statt einer Pleite-DDR wie Ende der 80er haben wir es mit Milliardenschweren Investoren zu tun, die jahrelang jede Krise spekulativ aussitzen, in der Hoffnung auf veränderte Immobilienbedingungen.

Den Hinweis auf den Begriff der „liminalen Räume“ verdanke ich der intellektuellen Fraktion meines Kreuzberger Domizils, der dafür der Dank gebührt.

24.02.2024 – Über Metropolen und die Paradoxie des Kapitalismus

Karneval der Kulturen in Berlin

Wer von der mit 52 Metern höchsten innerstädtischen Erhebung Berlins, dem Kreuzberg, auf die Stadt schaut, der tut sich ein flacher Pfannkuchen öder Langeweile bis zum Horizont auf. Unterbrochen nur vom architektonisch gelungenen Hochhausensemble Potsdamer Platz. Der allerdings städtebaulich eine Katastrophe ist. Ein zombiesker Unort, den Eingeborene meiden. Übertroffen in seiner Trostlosigkeit nur vom nebenan befindlichen Kulturforum. Eigentlich ein Zentrum der Kultur in Deutschland, mit Neuer Nationalgalerie,   Kupferstichkabinett, Gemäldegalerie, dem gigantischen im Bau befindlichen berlin modern , teuerster Museumsneubau der BRD, der Philharmonie, dem Kammermusiksaal, der Staatsbibliothek, dem Ibero-Amerikanischen Institut etc. pp. . Realiter ist der Ort toter als der Zentralfriedhof, ein einziges städtebauliches Desaster, an dem sich niemand länger als nötig aufhält. Keine Bar, keine Restauration, kein Grün, nur eine erweiterte Blech-Pommesbude mit Bierbetrieb. Beide Orte mit zehntausenden Quadratmetern wurden von der Berliner Betonmafia CDU/SPD der Profitgier und dem Größenwahn nach der Wiedervereinigung zum Fraß vorgeworfen und unverdaut wieder ausgeschissen.

Berlin ist anders als London keine Metropole der Architektur, die Hochkultur schwebt als metropolitane Blase über der Stadt. Berlin ist keine Finanzmetropole wie Frankfurt und schon gar kein Wirtschaftszentrum wie München. Die paar DAX-Konzerne, die hier ihren Sitz hatten, sind alle im Orkus verschwunden, wie die Gangster von Deutsche Wohnen oder Geldverbrenner wie Delivery Hero oder Hello fresh.

Berlin hat seinen berechtigten Ruf als einzige Weltstadt Deutschlands, als Metropole eben, dem sub- und alltagskulturellen Geschehen zu verdanken. Alles, was an öffentlicher Inszenierung jenseits des Mainstreams hier stattfand, an Tekknokellern, Clubs, Bars, Galerien, Ateliers, an schrägen Vögeln, Restaurants, an verschonten Lost Places und fluiden liminalen Räumen, hat den Ruf Berlins ausgemacht. Und macht ihn immer noch aus, obwohl der Würgegriff des Kapitals, der Gentrifizierung und der Berliner Spießer alles tut, um die Reste der alternativen Szene, der Subkultur und der anarchischen Räume zumindest im innerstädtischen Bereich zu erdrosseln. Und damit dem Geschäftsmodell Berlins den Garaus macht. Paradoxie des Kapitalismus.

Es ist also die Kultur, die Sphäre von Bewusstsein und Identität, und nicht die Ökonomie, die Sphäre von Sein und Interesse, die die Aura von Berlin ausmacht.

Das ist deshalb von allgemeinem und überragendem Interesse, weil es zumindest den Zustand allgemeinen Handelns und Kommunikation in derzeitiger demokratischer Öffentlichkeit widerspiegelt. Der Prolet und der Mob wählen AfD, obwohl sie massiv gegen deren materielles Interesse verstößt. Die Ersten in den sozialen Brennpunkten, die ins Arbeitslager kommen bei Machtübernahme der AfD, sind jene Arbeitslosen, die sie jetzt wählen. Und die Ersten, die zu kostenloser Zwangsarbeit verpflichtet werden zwecks Landschaftspflege o. ä., sind jene derzeit gutbezahlten Industriefacharbeiter, die jetzt AfD wählen, aber später Verlierer des Technologiewandels werden.

Sie alle wählen AfD aus Gründen einer vermeintlich kulturellen (und völkischen) Identität, wegen Zuwanderung, innerer Sicherheit, zu viel Wokeness, zu viel Gendersprache, zu viel Minderheit-Rechten, zu viel Frauenkrams, zu viel „Eliten“ …. Von allem zu viel. Zu viel Demokratie …

Das ist von beträchtlicher Bedeutung für Strategien zum Erhalt von Demokratie. Die setzen immer noch am Diskurs der Aufklärung an, am Argument, welches am Interesse des Gegenübers ansetzt. Wenn das aber nicht greift – was dann …?

22.02.2024 – Die Postdemokratie

Erbsenkraut, 1 Woche nach Beginn der Keimung. Das Bild erinnert an die mythische Hydra. Sie zu erlegen, war eine der Aufgaben des Herakles . Sie war eigentlich unbesiegbar, denn für jeden Kopf, den man ihr abschlug, wuchsen zwei neue nach. Der listige Herakles schaffte es schließlich. Wenn es ein Symboltier für die aktuellen Krisen gibt, dann die Hydra. Kaum ist eine Krise verschwunden, Corona, wachsen zwei neue Köpfe nach, Kriege z. B. Der Unterschied zur Sage: Es ist weit und breit kein Herakles in Sicht. Nur neue Monster, wie die Gorgonen, deren Anblick jeden zu Stein erstarren lässt. So verhält sich die Gesellschaft ja auch, steinern erstarrt. Ihre (Schein)-Bewegung geht nicht nach vorne, im Sinne von Fort-Schritt, es ist mehr eine hilflose Rotation um die eigene Achse, die nur Schwindel und Übelkeit verursacht. Irgendwann fällt dann der steinerne Koloss davon um und zerbirst.

Genug der Metaphernschinderei. Es sollte klar sein, was gemeint ist, und die Metapher nur der Haken, an dem die Klärung eines „Wie konnte es soweit kommen?“ aufgehängt wird.

Von diesem Haken führen viele Wege nach Rom. Wir schlagen einen ein, der uns vom Parlament und dem TV der Sechziger ins Heute führt.

Mitte der 60er: Drei Parteien (im Parlament CDU/CSU, SPD, FDP. 10 traten an, wie NPD und DFU, eine Art Vorläufer der DKP). Es gab drei Sender (ARD, ZDF und die Länderprogramme der ARD)

2024: 9 Parteien im Parlament, plus 5 aus Deutschland im EU-Parlament wie „Die Partei“, plus 25 weitere, die zur EU-Wahl im Juni antreten.

Private TV-Sender in Deutschland > 480.

Eine extreme Ausweitung des Angebotes auf der Ebene der Politik und der Kulturindustrie, um ein offensichtlich bestehendes – und durch wen oder was auch immer gewecktes und konstruiertes – Bedürfnis zu befriedigen. Die Grundlagen für dieses Bedürfnis: wachsende Individualisierung, Diversität, Verlust kollektiver Bindungskräfte (Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Vereine, Verbände) und Verschwinden von Utopien, stattdessen Konsumismus, Wohlstandsverwahrlosung, die drei „E“ Egozentrik, Egoismus, Esoterik, Spaltung der Gesellschaft, Verlust von herrschaftsfreien Räumen von Kommunikation, wachsende Krisen, Orientierungslosigkeit, Einsamkeit etc. pp.

Das Produkt dieser Entwicklungen: Psycho-Pathologisierung der Gesellschaft. Immer mehr Bekloppte. Immer mehr Psychopharmaka, Nachfrage nach Therapien, Homöopathie und anderem Scharlatanerismus. Allgemeines hysterisches Geschrei auf allen (sozialen) Kanälen. Der langsame Übertritt von der Postmoderne in die Postdemokratie. Postdemokratie, ein reines Spektakel als eine formale Hülle von Demokratie, in der wie im besseren Falle wie bei uns sich einfach immer mehr aus demokratischer Teilhabe ausklinken oder in schlimmeren und zunehmenden Fällen wie Türkei und Ungarn, beginnend in Italien, Slowakei etc., die Demokratie strukturell zu einer leeren Hülle wird.

Dann wäre das also auch geklärt. Was mir morgens so beim Anblick meines Erbsenkrautes durch den Kopf geht.

Meine Lieblingspartei für die EU-Wahl ist übrigens die „Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung“. Ziel: Ewiges und gesundes Leben.

Spitzenergebnis bisher bei Wahlen: immerhin 0,5 Prozent. Natürlich in Berlin. Wieso ausgerechnet Berlinerinnen ewig leben wollen, ist mir schleierhaft.

Im nächsten Blog wenden wir uns der PDV, Partei der Vernunft, zu. Eine Partei, in der offensichtlich nur Bekloppte unterwegs sind

19.02.2024 – Der Durchfall

Aus dem Archiv: Leine-Deister-Zeitung, 15.05.2014. Wer arm ist, kann sich keinen Durchfall leisten. Das bezog sich vermutlich auf die Tatsache, dass damaligen Hartz-IV-Bezieherinnen rechnerisch pro Tag eine Viertelrolle Toilettenpapier zur Verfügung stand, was im Durchfallfall schon mal knapp werden kann.

Vor dem Durchfall kommt die Ernährung. Auch da gehen immer tiefere Gräben durch unsere Gesellschaft. Es gibt Millionen, die können sich nicht genug zu essen kaufen, über 2 Millionen gehen regelmäßig zu den Tafeln. Es müssten vermutlich doppelt so viel die Tafeln nutzen, aber die Scham hält viele davon ab. Die Dunkelziffer derer, die Grundsicherung im Alter nicht beanspruchen obwohl ihnen das zusteht, liegt bei 70 Prozent. Nur dadurch spart der Staat ca. 6 Mrd. Euro, die er dann für Panzer ausgeben kann. Insgesamt spart der Staat an Sozialleistungen ca. 20 Mrd. Euro p. a., die aus Scham oder Nichtwissen nicht in Anspruch genommen werden. Wenn das für Panzerabwehrraketen nicht reicht, wird später mal die Grundsicherung gekürzt.

Am anderen Ende gibt es Millionen, für die gehört luxuriöses Essengehen zum must have ihres Alltags, soziale Definition und Distinktion durch die Wahl des Restaurants, jeder Stern pro Person ein Hunderter mehr (was mittlerweile nicht mehr reicht) und der Champagner kommt noch obendrauf. Den Preis braucht man unter seinesgleichen nicht zu erwähnen, man weiß Bescheid, ein Satz wie: „Am Wochenende habe ich endlich mal einen Platz bei (Sternekoch) Tim Raue erwischt“ reicht.

Es ist nicht nur die materielle Spaltung in der Gesellschaft, die die Demokratie zunehmend delegitimiert. Es ist eine auf allen Ebenen, auch auf kommunikativer. Wo sollen sich die hier genannten Personen zu „herrschaftsfreier Kommunikation“ begegnen? Und worüber sollen sie kommunizieren? Die Einen über den schlechten Service bei Tim Raue, wo ein Meursault um 0,7 Grad zu warm serviert wurde und die Anderen über menschenunwürdige Behandlung bei den Tafeln, wo das Personal schon mal seine Macht über die Hungerleider ausnutzt und übergriffig wird?

Wenden wir uns der bessersituierten Mitte der Gesellschaft zu, für die Kochen und gutes Essen zum Religionsersatz geworden ist, die Wahl des Küchenmessers eine auf Leben und Tod, der neueste Ess-Trend das Glaubensbekenntnis und ein abendliches Mahl mit Gleichgesinnten das Hochamt. Einziger Unterschied: es findet kein carnivorer Kannibalismus wie in der Messe mehr statt, bei dem Leib und Blut von Jesus in Form von Hostie und Wein weggemampft wird, es geht Quinoamässig vegan zu.

 Vom Diätwahn gar nicht zu reden. Für Diätlebensmittel geben die Deutschen jährlich über 2 Mrd. Euro aus, dazu kommen Bücher, Kurse, Fitnessgeräte und Studios etc. pp. Nur, um länger (gesünder?) zu leben. Aber wie.

Es gibt ein einziges Mittel, das nicht nur umsonst ist, sondern Geld spart, mit dem das Leben signifikant bis zu 40 Prozent verlängert wird und das mit weniger Krankheiten: Mäusen, denen man durchgängig 40 Prozent weniger Nahrung als der normalessenden Mäusevergleichsgruppe gibt, leben 40 Prozent länger. Einzige Bedingung: Ausreichend Vitamine und Mineralstoffe. Im Gegensatz zu den normal Mampfenden waren sie am Ende auch nicht großartig krank. Sondern einfach nur tot. Da wir 99 Prozent der Gene mit Mäusen gemein haben, liegen Analogien auf der Hand. Die meisten Gene haben übrigens Wasserflöhe. Nutzt ihnen auch nicht viel, die leben keine drei Monate.

Lebensverkürzend und für viele die Ausgeburt der Ernährungshölle. Für mich alle Wochen mal der heilige Gral der Köstlichkeit. Kostet mit diverser Bierbegleitung (und Rostocker, aber der geht aufs Haus) 16 Euro. Bei Tim Raue sind Sie mindestens mit dem Faktor 20 dabei. Ob im Genuss auch, sei mal dahingestellt.

Mahlzeit.

16.02.2023 – Die Neunziger

Die Neunziger. Von Jens Balzer, u. a. Autor für DLF und Rolling Stone, der unter anderem mit Dietmar Dath und Sibylle Berg kooperierte (für Eingeweihte ein Qualitätsnachweis). Das Buch schildert mit starken popkulturellen Bezügen die Entwicklung der Neunziger vom Fall der Mauer bis zum 9/11-Anschlag auf das World Trade Center, von der Hoffnung auf ein neues Zeitalter der Freiheit, mit revolutionären Technologien wie dem aufkommenden Internet und weltweiter Digitalisierung bis zur Enttäuschung durch aufkommenden Nationalismus, Kriege in Europa (Jugoslawien) und den grenzenlosen Sieg eines hemmungslosen Neoliberalismus. Der Soundtrack dazu ist Techno, der sich seinen Siegeszug aus den räudigen Kellern des vereinigten Berlins in die ganze Welt bahnte . Paradigmatisch für die Zeit steht die Loveparade in Berlin, zu Beginn ein avantgardistisches, charmantes Spektakel von ein paar Idealisten. Am Ende Millionen durchgeknallter Drogenfreaks im zugedröhnten Konsumrausch, die den ganzen Tiergarten vollschissen.

Das Buch ist kenntnisreich, mit jeder Menge Erinnerungspretiosen, unprätentiös, aber unterhaltsam und gut geschrieben. Wer wissen will, wie unsere Gesellschaft so wurde, wie sie ist, findet hier jede Menge Futter. Und je nach lebensgeschichtlicher Verortung Rückbesinnung und Vergewisserung eigener kultureller Prägungen. Aus dem Alter für Techno war ich raus, aber unvergesslich ist mir mein Brechreiz angesichts eines riesigen Heeres von Deutschlandfahnen nach dem Fußball-WM Titel 1990. Damals war ich noch Fan des reinen Spiels, hasste aber natürlich jede Form von Nationalismus. Wer auch nur ein zweiseitiges Geschichtsbuch gelesen hat, weiß: Nationalismus ist immer ein Anfang von einem bösen Ende. Da kommt niemals was Gutes bei raus. Folgerichtig brannten ab da überall Flüchtlingsunterkünfte, Ausländerwohnungen und Asylantenunterkünfte. Hier zur Erinnerung das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen . Die Lektüre sollte allen, die sich Illusionen darüber machen, was heutzutage nicht mehr möglich sei, die Augen öffnen. Alles worüber wir denken können, wird möglich, auch wenn es nicht real werden muss. Die Bedrohung von Grünen durch Bauernmob am Aschermittwoch ist nur ein erster zarter Schritt.

Ich habe diesen ganzen „Das Ende der Geschichte“-Quatsch und „Alles wird Frieden, Freude, Eierkuchen“ von Anfang an für ideologischen Unsinn und zweidimensionale Verblendung gehalten. Hier eine Aktion des famosen Kunstkollektivs SCHUPPEN 68 (Gruß an Peter, unser damaliges Darsteller-Genius und treuer Blog-Leser. Das erste Bier im Hades geht auf meinen Deckel!)  vom Reichseinheitstag, dem 3. Oktober, 1990. Im damaligen hannöverschen Stadtmagazin Schädelspalter.

03.10.1990! Interessant, dass ich das Archiv-Fundstück mit Schreibmaschine (!) verschlagwortet habe. Für die Generation Internet und Smartphone ein ähnlich unvorstellbares Arbeitsgerät wie Fax, Kabeltelefon und Tonbandkassette, noch vor der Diskettenzeit. Es gibt übrigens keine Popgruppe mit dem Namen „Diskette“. Unglaublich.

 In der Aktion ist alles drin: Völkischer Nationalismus, grenzenloser Kapitalismus bis zum Organhandel, Minderheitenhass, Rassismus. Genial, wenn Sie mich fragen. Aber leider hat mich schon damals kaum jemand gefragt. Wir waren denn doch zu (links)radikal, avantgardistisch und dadaistisch, der Zeit um Äonen voraus

Das Buch hat einiges bei mir getriggert. Empfehlenswert. Est ist der dritte Band, nach den 70ern und 80ern, einer Reihe des Autors über eine Annäherung an die Gegenwart .

Und nun zum Wetter …

15.02.2024 – Das Erbsenkraut

Erbsenkraut.

Im Winter sind frische Kräuter Mangelware. Schnelle Abhilfe schaffen eine Handvoll Erbsen (keine Tiko!), 12 Stunden eingeweicht in kaltem Wasser, mit etwas Erde in Blumentopf oder auch einfach durchgefeuchteter Watte oder Toilettenpapier (unbenutzt!) in irgendeinem Gefäß in einem Plastikbeutel verschließen (Treibhauseffekt). Fertig. Nach zwei, drei Tagen keimen die Erbsen, dann können sie raus aus dem Beutel und entwickeln sich in weiteren drei, vier Tagen zum grünen Kraut (Das sind Richtwerte, bisschen probieren). Das Wunder der Photosynthese wandelt Licht in chemische Energie wie Zucker um und dafür braucht die Pflanze nur den blauen und roten Anteil des Lichtes, den grünen nicht, den spiegelt sie zurück. Also sind Pflanzen grün. Zuckersüß und intensiv schmeckt auch das Erbsenkraut. Ich hab’s vor Jahren mal in Delft (Porzellan und Vermeer!) kennengelernt, mittlerweile ist es Standard in der etwas gehobeneren Gastronomie. Als Salatbeilage, auf das Tomatenbrot, in die Suppe, wohin Sie auch wollen. Schnell verbrauchen, das schießt ins Kraut. Lecker, gesund und macht Spaß. Nichts geht über Eigenanbau, es hat auch etwas Kontemplatives, wenn man dabei zugucken kann, wie alles wächst und gedeiht. Bei meinen morgendlichen Zen-Meditationen im Garten verneige ich mich immer still begrüßend vor Bruder Hanf oder Schwester Radieschen. Was halt gerade anliegt. Im Moment ist es in der Küche eben Onkel Erbskraut.

Abgesehen vom Spaß kann sich diese Form von Subsistenzwirtschaft zukünftig zu einer bitteren Notwendigkeit für das Prekariat entwickeln. Im Zuge der Atombombendiskussion und der Finanzierung noch zu führender Kriege wird gerade medial der Rest unseres Sozialstaates sturmreif geschossen. Die diskutierten Summen für Sondervermögen zur Kriegsführung erreichen in wenigen Tagen schwindelerregende Höhen, schwupps, von 100 auf 300 Milliarden. Wie soll das finanziert werden?

 Ausschließen kann man eine Beteiligung der Reichen an der Finanzierung der Kriege, von denen sie profitieren, z. b. via Dividendengewinne bei Rüstungskonzernen. Eine Schuldenbremse ist unwahrscheinlich, mit CDU, FDP und AfD ist eine stabile parlamentarische 60 Prozent-Mehrheit dagegen. Also Haushaltskürzungen. Im Sozialhaushalt. Eine Agenda 2030 als Fortsetzung der Agenda 2010. Das wird dann die Demokratie zwei weitere Schritte zum Abgrund bugsieren; logisch, dass der Mob auf eine Demokratie scheißt, die in ihn ins Elend verfrachtet. Mit diesem Dilemma muss die Demokratie leben. Bis sie stirbt.

Die ursprüngliche Agenda 2030 ist übrigens, Zitat: „ … ein globaler Plan (der Weltgemeinschaft für nachhaltige Entwicklung) zur Förderung nachhaltigen Friedens und Wohlstands und zum Schutz unseres Planeten.“ Keine Armut mehr, kein Hunger… Wenn Sie die 17 Ziele lesen, die da 2016 festgelegt wurden, werden Sie vermutlich Tränen lachen

Das geht als Büttenrede durch.

14.02.2024 – Die Atombombe

Atomkrieg? Ja Bitte. Gesehen an meinem Kühlschrank. Der Aufkleber stammt aus einer Aktion vom Juni 2022 und kann bei mir bestellt werden. Der Magnet zeigt die feministische Künstlerin Niki de Saint-Phalle, die als Elfjährige von ihrem Vater vergewaltigt wurde.

Nach dem Menschheitsverbrechen des Holocaust hätten man denken können, dass die Deutschen zumindest für die nächsten 2.000 Jahre erstmal die Füße stillhalten würden. Es dauert gerade 10 Jahre, da waren deutsche Unions-Kalte Krieger wie Adenauer und Strauß („Lieber ein kalter Krieger als ein warmer Bruder“) derart erpicht auf die Menschheitswaffe Atombombe, dass die Amis als Bündnispartner regelrecht panisch reagierten. Die hatten kein gesteigertes Interesse an atomaren Konflikten mit den Sowjets. Im Rahmen der Berlinkrise, Zitat Spiegel online, leider hinter Bezahlschranke:

„ … warnte Kennedy Adenauer eindringlich vor »nuklearen Experimenten«, weil sie die Gefahr eines Krieges »drastisch erhöhen« würden. … Sollten die Deutschen die Bombe bauen, würde er wohl die US-Truppen aus Europa abziehen, sagte Kennedy dem britischen Verteidigungsminister. … Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges mit der Kubakrise 1962 nahm die Angst der Amerikaner vor den atomaren Ambitionen der Deutschen groteske Züge an. Offenbar traute man Strauß sogar zu, sich zur Not einfach US-Atomwaffen in Deutschland anzueignen….  Demnach habe das Militär ein bis dahin eher unscheinbares US-Depot mit taktischen Atomwaffen plötzlich zu einer Festung ausgebaut und deutlich schärfer bewacht. Nicht aus Angst vor den Russen oder anderen Spionen, sondern vor den Deutschen. …“

Groteske Welt, heute kann’s dem Ami gar nicht heiß genug zugehen bei seinen Bündnispartnern im Kalten Krieg und an vorderster Front zurrt sich kein Unionskrieger den Stahlhelm fester, sondern eine Sozialdemokratin, die EU-Spitzenkandidatin Barley. Was die Sache zusätzlich irre macht: Leider sitzt auf der anderen Seite am Roten Knopf kein Vernunft- und Interessengeleiteter Kommunist mehr, wie z. B. Chruschtschow, dem der Schrecken des Zweiten Weltkrieges noch qua eigener Erfahrung in den Knochen steckte, sondern ein offensichtlich immer durchgedrehterer Nationalist Putin, befeuert von religiösen Wahnvorstellungen und Allmachtsphantasien. So weit ersichtlich unterliegt der Irre auch keiner institutionellen Kontrolle, anders als Chruschtschow, der schließlich im Widerstreit einzelner Machtgruppen und Fraktionen der kommunistischen Partei unterlag und abgesetzt wurde. Das Prinzip von „Checks and Balance“ funktionierte auch auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs, nur anders als bei „uns“. Aber bei Putin ….?

Die Atomwaffen-Diskussion wird also Fahrt aufnehmen. Welche Folgen das für das gesellschaftliche Klima hier haben wird, ist nicht abzusehen. Früher entstand aus der oben skizzierten irren Gemengelage die Friedensbewegung, daraus die Grünen und letztlich der neue Nationalismus. Da hatten wir aber noch keine tief gespaltene Gesellschaft wie heute, es ging ökonomisch fast nur bergauf, kaum Armut, keine massenhaften Faschisten, keine Seuchen, wenig Inflation, Kriege fanden weit weg statt, mal ne kleine Ölkrise, aber Klima war ansonsten prima.

Wenn der von Polykrisen dauerhaft überlasteten und tief verunsicherten Gesellschaft jetzt zusätzlich noch eine Atomwaffendiskussion aufs Gemüt gedrückt wird, kann ich den werten Leserinnen nur empfehlen: Investieren Sie in Pharmaaktien, Psychopillen werden boomen. Immer den Markt fragen. Der Xtrackers MSCI World Health Care ETF bildet weltweit Aktien ab, die mit Gesundheit zu tun haben, Firmen wie Eli Lilly, Merck etc., zu 50 Prozent ist dieser Fond in Drug Manufacturers investiert. Dieser ETF hat in den letzten 5 Krisenjahren um fast 70 Prozent zugelegt. Besser läuft nur die Rüstungsbranche.

Kaufen, meine Damen!

13.02.2024 – Narhalla Marsch und kotz in den Eimer

SCHUPPEN 68 Rosenmontagswagen. Klein aber fein, divers, alternativ und CO2-neutral.  Auch dieses Jahr war die Narrenzunft „SCHUPPEN 68 Helau, Alaaf und leckt uns am Arsch e. V.“ wieder mit einem eigenen Wagen am Start des berühmten hannöverschen Rosenmontagsumzuges. Frohsinn ist unser Leben! Getreu diesem Motto waren wir natürlich alternativ und klimaneutral unterwegs. Die Kamellen waren wie üblich selbstgemacht, dieses Mal steckte in jeder Kamelle ca. 100 Mikrogramm LSD. Was sich daraufhin auf den Straßen abspielte, spottet jeder Beschreibung. Deshalb lasse ich die.

Karneval ist nicht meine Welt. Ich kann damit nichts anfangen. Aber auch Kirchen und Klöster sind z. B. nicht meine Welt, deshalb suche ich im Urlaub trotzdem welche auf, wenn es passt, und fühle mich dort mitunter wohl, verweile dort auch. Es ist eine andere Form von Kultur und wer für andere Formen, Kulturen nicht wenigstens ab und zu offen ist, der verdorrt langsam wie ein Olivenbaum ohne Wasser. Also war ich auch schon auf Karnevalssitzungen und hab mir sowas auch im TV angeguckt.

Dem Karneval eilt qua Geschichte der Ruf voraus, Obrigkeitskritisch zu sein, sich mit denen da oben anzulegen. Also Trittrichtung nach oben, wie sich das auch für Satire gehört, sonst ist sie keine, sondern Comedyquatsch. Alternative Formen von Karneval kenne ich nicht, nur die Amtlichen.

Und die sind aus meiner Sicht geschmackfreies Grauen, an Plattheit, Harmlosigkeit (Scholz mit Augenklappe auf Karnevalswagen, wie rebellisch!) und reaktionärem Stumpfsinn kaum zu überbieten. Das war vor Jahrzehnten so und ist heute noch genauso. Es muss nicht offener Rassismus sein, wie in Sachsen , der da marschiert. Fünf Minuten Köln am Rosenmontag im TV reichen. Der Karneval, so wie ich ihn  kenne, tritt meist nach unten, gegen alles, was bunt, divers und Minderheit ist. Außerordentlich hässliche Männer in der Bütt, die nüchtern und bei Verstand niemand auch nur mit einer Kneifzange anfassen würde, machen misogyne Witze über hässliche Schwiegermütter, geschminkte Tussis und antiautoritäre Erziehung. Das war vor Jahrhunderten so. Und gestern genauso, im Kölner Karneval im TV.

Ein außerordentlich hässlicher Mann mimte einen Betrunkenen, was für ein origineller Brüller, und pöbelte gegen eine grellgeschminkte „Tussi“ an irgendeinem Büffet im Urlaub, wo er mit seinen Kumpels Manfred und Ernst abhing. Das klassische Reinheitsgebot frauenverachtender doitscher Männer: Ein doitsches Mädel hat blitzsauber zu sein und adrett, gefälligst ungeschminkt. Das darf sie dann höchstens im Bordell sein, das die volltrunkenen außerordentlich hässlichen Manfreds und Ernsts dann nach dem Büffet gerne aufsuchen. Danach kam noch irgendwas Witz- und Geistloses gegen ein Lehrerehepaar in Jack Wolfskin-Klamotten am Büffet, dessen Kind aus Milchreis einen Schneemann bauen durfte, weil es, Achtung Brüller: Antiautoritär erzogen wird. Tusch und Narhalla Marsch.  Da weht aus der Unterhose des Betrunkenen der Geist der Fünfziger, von Fips Asmussen und seinen Widergängern wie Mario Barth, Dieter Nuhr. Mehr ertrug ich nicht und zappte weg.

Das alles wäre kaum der Rede wert, wäre es eine Nische, ein Sonderfall deutscher Kultur. Das ist es aber, so wie Kirchen und deren Ideologien, nicht. Das finden Millionen witzig, wird zur Prime Time im Öffentlich-Rechtlichen gesendet, das ist Teil ihres Alltags, ihrer Identität. Und jeder, der das kritisiert, versteht keinen Spaß. Und bei sowas versteht der doitsche Volksgenosse nun wirklich keinen Spaß. Vor dem Hintergrund dieser Dispositionen und Mentalitäten darf sich niemand wundern, wenn die AfD z. B. in manchen Plattenbaubezirken, sozialen Brennpunkten in Ostberlin über 50 Prozent erreicht hat.

Und das ist, keine Bange,

noch lange nicht das Ende dieser Fahnenstange.

Narhalla Marsch und kotz in den Eimer.

12.02.2024 – Über den Unterschied von „relativ“ und „absolut“ und warum wir in Zukunft statt „besoffen“ „unkooperativ“ sagen

Die Realität macht Heute schon viel möglich. Gesehen bei der hannöverschen Gesundheitswoche im ehemaligen Kaufhof.

Mit sowas versucht man die Cities zu revitalisieren. Die großen Kaufhäuser in den Innenstädten machen reihenweise dicht, diese verkommen zu seelenlosen Zombiezonen. Nicht umsonst spielt eine der großartigsten filmischen Kritiken am Kapitalismus in seiner Kathedrale, einem Einkaufszentrum. Es handelt sich um „Zombie“ (1978!) von George Romero .

Auch da hat es Berlin besser, es besitzt keine Innenstadt oder City. Es gibt höchstens Zentren der 12 Bezirke, die jeweils Großstädte von der Größe Mannheims sind, nur wesentlich lebendiger. Ich war einmal da und kann mich an Nichts erinnern, außer an eine Äppelwoi-Schänke, und das war nicht in Mannheim.

Wobei das mit den Bezirkszentren in Berlin so eine Sache ist. Wenn man einem SO 36-Kreuzberg Autonomen erzählt, das Kreuzberg-Zentrum sei die Bergmannstr. im gentrifizierten Kreuzberg-Westen, packt er gleich den Molli aus. Er wird vermutlich auf Rio-Reiser-Platz mit Oranienstr. insistieren. Wie auch immer, Dezentralität ist eine Chance und Berlin nutzt sie, während es nach wie vor kein Rezept gibt und geben kann zur Wiederbelebung der Innenstädte der Republik. Das geht nur auf Basis massiver Eingriffe in die Eigentumsstruktur, anders geht eine radikale Umgestaltung zu mehr Arbeiten, Wohnen und Leben in den Cities nicht. Und diesen Eingriff lässt unsere Verfassung zwar theoretisch zu auf Basis § 14 und 15 GG, der ist aber in der Praxis nicht realisierbar, das geben die Macht- und Profitinteressen hier nicht her. Das Karstadt-Gebäude in Hannover steht seit vier Jahren aus Spekulationsgründen leer und es ist nicht im Ansatz irgendeine Entwicklung zu sehen

Berlin, Du hast es besser. Berlin ist so gut, dass es die einzige Großstadt der Republik ist, in der zweimal zur gleichen Wahl abgestimmt werden darf. Die schönste Panne der Wahl gestern: Ein Wahlvorstand war so besoffen, dass er abgelöst werden musste. Wir in Berlin sagen aber nicht besoffen, sondern „unkooperativ“.

Die Wahl ist ein bemerkenswertes Stimmungsbarometer. Die Gesamtverschiebungen sind zwar minimal. Aber relativ gesehen, also auf die paar Wahlbezirke, in denen überhaupt nur gewählt wurde, ist das Ergebnis für SPD und FDP eine Katastrohe. Die SPD verlor ca. ein Drittel und die FDP fast zwei Drittel ihrer Prozentanteile. Die AfD konnte ihr Ergebnis um ca. 40 % steigern und legte relativ gesehen mehr zu als bei den letzten Landtagswahlen in Hessen und Bayern. Und da hatte sie schon enorm gewonnen im Vergleich den vorherigen Landtagswahlen.

Sie können die relativen Verschiebungen hier in der Grafik ablesen

Insofern sind mir jene Kommentare rätselhaft, die nur die absoluten Verschiebungen von ca. 1 Prozent erwähnen. Diese Aussage ist ohne die Relationen und Bezugsgrößen völlig bedeutungslos.

Der Wahlerfolg der AfD zeigt auch den Effekt auf ihre Mobilisierung der bisherigen Millionendemos gegen Rechts: Praktisch gleich Null. Der einzige wirksame Effekt wäre eine Beteiligung der Wagenknechte an der Wahl gewesen, aber die waren aus rechtlichen Gründen noch nicht zugelassen.

11.02.2024 – Die Marx Brothers im Krieg oder: Kein Film ist so verrückt wie das Leben.

Närrische Zeiten. Ich bin mal auf die Ostermärsche heuer gespannt. Wie zerrissen wird sich diese Bewegung darstellen? Alle wollen Frieden. Aber um welchen Preis? Was ist wichtiger, Frieden oder Freiheit? Gibt es den gerechten Krieg? Wie verhalten „wir“ uns, wenn der Russe kommt? Der Böse ist ja immer der Russe, während die Nato eine Art Friedenscamp von Späthippies darstellt – Motto: Love and Peace -, die (noch) nichtkiffende Fraktion der Friedensbewegung. Wer was anderes behauptet oder das auch nur in Ansätzen relativiert, wird bei uns niedergemacht. Bildlich gesprochen. Natürlich ist Putin ein Imperialist, Chauvinist, und gehört vor ein Kriegsgericht, aber in diesem Stück gibt es mehrere Schurken. Das Leben ist nicht schwarz/weiß, sondern mitunter schwarz/schwarz, Gauner und Lumpen, wohin man blickt. Der Westen hat mit seinen komplett gescheiterten Interventionen in den letzten Jahren allein im Irak, Libyen, Afghanistan eine blutige Spur hinterlassen, bei der sich man sich fragt, was hat sich dadurch in den Regionen verbessert?

Das kann man im Hinterkopf haben, wenn man die Schlagzeilen der letzten Stunden liest. Wer zu Verschwörungstheorien neigt, kann hier eine abgesprochene Choreographie vermuten. Ich tue das nicht. Ich halte die Welt für so verrückt, dass sich das von selbst orchestriert. Es ist wie im Western:

In der Exposition wird die Bedrohung für die Guten ausgemalt und der Antiheld eingeführt, Putin, wer sonst. Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz (das ist eine Art Workshop für Friedenscamps, wo sich die Oberhippies regelmäßig zum großen Ratschlag treffen) hält einen russischen Angriff auf Nato-Gebiet für nicht ausgeschlossen.

Nun folgt im zweiten Akt der Gute, der das Rettende am Horizont sieht und das zögernde Fußvolk von den Mühen und Opfern überzeugen muss, die dieser Weg kostet: Der Generalinspekteur der Bundeswehr (ein Häuptling mit ganz vielen Federn im Kopfschmuck) will, dass wir in fünf Jahren kriegstüchtig sind.

Im dritten Akt tritt der Bösewicht auf. Er hat Kreide gefressen und heuchelt, alles nicht so schlimm: Putin will Polen nicht überfallen . Es sei denn, Polen greift Russland an. Also alles gut? Nein, wir Zuschauerinnen sehen jetzt aus dem Hintergrund eine dunkle Gefahr nahen. Für die Angriffslust des Polen gibt es historische Parallelen, schließlich hatte der Pole ja auch schon Hitler überfallen, der Überfall auf den Sender Gleitzwitz , laut anderer Quellen auch Leihwitz, und damit den Zweiten Weltkrieg ausgelöst, den Hitler unbedingt vermeiden wollte. Er war ja nicht nur Vegetarier, sondern auch Pazifist, weshalb ich damals bei den Friedensdemos in den Achtzigern immer skandierte: Deutsche Pazifisten, Mörder und Faschisten. Das zeigt der Film, der nun immer irrer wird und dem Leben näher kommt, in Rückblenden.

 Im vierten Akt des Westerns macht sich unter der Bevölkerung Hoffnungslosigkeit breit: Wenn der Russe kommt, wird uns der spätere Oberhäuptling Trump nicht nur nicht helfen, sondern seinen Buddy Putin noch ermutigen, uns platt zu machen Das Weiße Haus findet diese Ermutigung zwar ungeheuerlich und völlig verrückt, aber wer diplomatische Gepflogenheiten kennt, weiß: Da, wo ein Dementi oder eine wie auch immer geartete Stellungnahme erfolgt, ist was dran.

Im fünften und letzten Akt kommt aus der Ferne unter Fanfarenstößen die rettende Kavallerie angeritten. In unserem Filmfall die Marschkolonnen der österlichen Friedensdemos, die intonieren: Give peace a chance.

Als Hauptdarsteller für diesen Film hätte ich gern die Marx Brothers, die Inszenierung sollte ihrem Meisterwerk „Duck soup (Die Marx Brothers im Krieg)“ entsprechen.

Sie fragen, ob ich eventuell zu viel gekifft hätte? Die Antwort gibt’s am 1. April. Da wird Cannabis legal. Prost einstweilen.