20.12.2025 – Über Schreiben

Dezemberrose im Garten. Lichtblick in düsteren Zeiten.

Die Zeiten sind düster. Die Jahreszeit ist es auch. Und dieses Zusammenspiel drückt selbst einer norddeutschen Frohnatur wie mir zunehmend auf das Gemüt. Hölderlins Klage

„Weh mir, wo nehm‘ ich, wenn

Es Winter ist, die Blumen, und wo

den Sonnenschein und Schatten der Erde?“

ließe sich kurzfristig ja durch Flucht in den mediterranen Süden beheben. Aber natürlich bezieht sich seine Klage auch auf die inneren Kontinente und die nehmen wir mit auf unsere Reisen. Nachrichten wie die vom antisemitischen Massaker am Bondi Beach klicke ich schon gar nicht mehr an. Mir reichen die Schlagzeilen: Vater und Sohn die Täter und das am friedlichen Chanukkafest. Dann kommen mir Gedanken wie: Die Pforten der Hölle haben sich wieder einen Spalt mehr geöffnet. Aber solche Taten sind nicht apokalyptisch einmalig. So düster, schlimm und roh die Zeiten auch sind, ein Blick in die Vergangenheit zeigt, sie waren düsterer, schlimmer und roher in einem Maß, welches menschliche Vorstellungskraft übersteigt. Ca. 200.000 Deutsche waren direkt am Holocaust beteiligt, also daran, Menschen wie Vieh in die Gaskammern zu treiben und ca. 700.000 waren direkt an Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs beteiligt, also an der Ermordung, Vergewaltigung, Verstümmelung von Millionen Unschuldigen. Viele von den Tätern haben unbehelligt nach dem Krieg weitergelebt, geheiratet, Kinder großgezogen, später mit Haus im Grünen, Auto, erster Mallorca-Reise. Ihre Kinder und Enkel zogen später in großzügige Stuckwohnungen in Prenzlauer Berg, fuhren Lastenräder, machten Urlaub auf den Malediven, zogen Kinder groß und machten Karrieren.

Im linken Milieu. Im Kulturbetrieb. Vielleicht als Museumsdirektor. Im Potsdamer Museum „Fluxus+“. Wo der zuständige Direktor verantwortlich ist für eine Ausstellung, in der Anne Frank mit Palästinenser-Tuch gezeigt wird. Das Bild des Holocaust-Opfers stammt von einem Berliner Künstler, der sich, das nebenbei, Marxist nennt. Anne Frank ein Palästinenser-Tuch umzuhängen, heißt nichts anderes als ihre jüdische Identität auszulöschen und mit einer palästinensischen zu überschreiben. Dieses Bild ist die ästhetisierte, ins Künstlerische fortgeschriebene, vollkommen zu Recht in Deutschland verbotene Forderung der Antisemiten der Welt: From the river to the sea. Also der Forderung nach der Auslöschung des jüdischen Staates. Und damit der Vernichtung seiner jüdischen Bevölkerung, denn nichts andres ist das Endziel der faschistischen Hamas und anderer Terrorgruppen aus der Region. Die nach wie vor einem großen Teil der Bevölkerung getragen und unterstützt wird.

Wäre ich jünger und handwerklich geschickter, reiste ich in die dreimal verdammte Ostzone und ließe Feuer und Schwefel über dem Fluxus-Museum und Potsdam regnen. Was den angenehmen Nebeneffekt hätte, dass die verfluchte Potsdamer Garnisonskirche mit vom Erdboden vertilgt würde. In ihr fand am 21. März 1933  der feierliche und von den Kirchen gesegnete Schulterschluss der konservativen und faschistischen Eliten der Weimarer Republik statt. So nahm der Nationalsozialismus, der Holocaust seinen Lauf. So schließen sich die sieben Kreise der Hölle.

Die Aussichten sind düster. Wolken am Himmel. Strenger Frost um Weihnachten. Wo aber, um im Hölderlinschen Duktus zu bleiben, wächst das Rettende? Draußen eher nicht. Sollte also auch Ihr Gemüt, liebe Leserinnen, mitunter düster verwölkt sein, empfehle ich Ihnen Schreiben. Schreiben befreit. Wenn Sie dem Schrecken einen Namen geben, ist er gebändigt, gezügelt. Seine namenlose Bedrohung hat dann einen Begriff. Nichts ist bedrohlicher als namenloser Schrecken und die Benennung des Schreckens ist der erste Schritt auf dem Weg zur Heilung. Nicht in der Welt, aber für Sie. Ob Sie es analog oder digital machen, als Tagebuch oder Blog, über die Welt oder Ihr eigenes Ich, ist egal, Hauptsache regelmäßig, am besten täglich.

Außerdem kann Schreiben durchaus lustvoll sein. Einer gelungenen Formulierung, präzisierten Erkenntnis sur le point, einem geistreichen Genieblitz kann man schon mal lange und genussvoll hinterherschmecken wie einem Vintage-Portwein, was ohne Frage das größte Geschenk ist, was Trauben und Erfindungsgeist der Menschheit machen können. So viel über Schreiben.

Und damit wir etwas geerdeter aus dieser Therapiesitzung gehen: Ein weiteres Mittel gegen Gemütsverfinsterung ist natürlich die Entdeckung fremder, fröhlicher Kontinente jenseits der eigenen, oft tief eingetretenen, abgelatschten, trüben Alltags-Wege.

Nicht ganz meine Welt, aber ein fröhlicher Lichtblick: Konzertplakat in SO 36. The Golden Cocks im „Franken“. Cock mit Hahn zu übersetzen, trifft es eher nicht ….

In ihrer Art auch ein Lichtblick, weil jenseits der Norm: Toilette in der „Eck-Kneipe“ am Kreuzberger Mariannenplatz. Wenn ich am Mariannenplatz bin, kehre ich da immer auf ein Bier und ein Korn ein.

Ist ein Ritual, was ich selbst bei Minusgraden und 12 Uhr mittags durchziehe, wo kalte Biere und Körner eigentlich das Letzte sind, was ein Connaisseur zu sich nimmt. Aber Rituale sind auch heilsam in düsteren Zeiten.

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