Irgendwo in Kreuzberg. Autos interessieren mich so viel wie ein Betonpfosten in Oer-Erkenschwick, aber da hab ich schon mal hingeguckt. Zumal der laut Zettel hinten dran noch fahren soll. Der Besitzer befindet sich in einem erbitterten Krieg mit dem Ordnungsamt, dass das Ding weghaben will. Versuch sowas mal in Kreuzberg durchzusetzen.
Noch älter als diese famose Karre ist der Textilarbeiterstreik von Crimmitschau, eine Ikone unter den Streiks der daran nicht armen Arbeiterbewegung. 1903 geführt gegen unmenschliche Arbeits- und damit Lebensbedingungen: 11-Stunden-Tag, Hungerlöhne, die zum Leben nicht reichten und menschenverachtende Arbeitsbedingungen
Da die Arbeiterbewegung damals ständig am wachsen war, Gewerkschaften und SPD wurden immer stärker und einflussreicher, entwickelte sich der Streik über Monate zu einem „No pasaran“ seitens des Kapitals. Die Unternehmer wussten, wenn sie sich selber nicht organisierten und gegenhielten, würde ihnen eines Tages etwas drohen, was der erst ein paar Jahre zuvor verstorbene Karl Marx im „Kommunistischen Manifest“ prophezeit hatte: „Ein Gespenst geht um in Europa! Das Gespenst des Kommunismus…“
Und dieses Gespenst würde ihnen das Leichentuch weben.
Also schlossen sich die Unternehmer in Arbeitgeberverbänden zusammen, sammelten Geld gegen den Streik, mobilisierten Politik, Polizei, Presse, selbst die Pfaffen wetterten von den Kanzeln gegen die Streikenden, die dort unter Risiko ihrer Existenz um eine Verbesserung ihres erbärmlichen Lebens kämpften. Mit Erfolg.
Nach sechs Monaten brach der Streik zusammen, eine schwere Niederlage der Arbeiterbewegung, die allerdings für zukünftige Kämpfe als Fanal bewahret wurde und insofern positives hatte: Kein zweites Crimmitschau. Soweit in Kürze die Geschichte.
Mit einer kleinen Korrektur: Wenn Sie sich das Foto im Artikel des Links anschauen, sehen Sie: Alles Frauen. Es war ein Textilarbeiterinnenstreik. Anders als das männliche Genus uns vorgaukelt, waren es eben keine schwieligen Arbeiterfäuste, die sich da im Blaumann dem Klassenfeind trotzig entgegenstellten. Das ist, und jetzt kommen wir zur Nutzanwendung der Geschichte durchaus nicht trivial im albernen Sinne eines „Ach, die Frauen sind doch immer mit gemeint“.
Das durchweg maskuline Genus früherer Jahre bei allen Beschreibungen fand und findet natürlich Eingang als Datengrundlage in jene Algorithmen, die im Rahmen von KI auf der Basis der Vergangenheit über unsere Zukunft bestimmen. Da Algorithmen im Zweifel wissen, dass es – mindestens – zwei Geschlechter gibt, sie aber fast ausschließlich in männlichen Kategorien agieren und also auch maskulin zentrierte Entscheidungen treffen, die die Anwender*innen meist kritiklos übernehmen, kann das schon mal lebensgefährlich werden. Wenn nämlich Algorithmen medizinische Diagnosen und Therapien erstellen, deren Medikationen am männlichen Körper orientiert sind.
Weniger lebensgefährlich, aber diskriminierend: Personalentscheidungen auf KI-Basis, wenn die Arbeitswelt nach Daten-Basis ausschließlich bis überwiegend als eine männliche erscheint, werden natürlich sofort alle Frauen im Vorfeld automatisch aussortiert, wenn’s besonders dämlich läuft. Und KI ist, anders als der Name sagt, immer besonders dämlich, nämlich genauso dämlich wie die Menschen dahinter.
Die Geschichte kann sich zwar digital, durchaus fortschrittlich Marx folgend, als eine Geschichte von Klassenkämpfen darstellen, aber nach Algorithmen eben als eine von Männern geführte. Was das im individuellen aber auch kollektiven Unterbewusstsein, und in Schulbüchern, Feuilletons etc., für Bilder und Ressentiments produziert und tradiert, brauche ich Ihnen, meine Leserinnen, nicht zu sagen. Dem Rest der Welt schon.
Und deshalb gehe ich in diesem Blog gerne spielerisch mit der Frage der geschlechtersensiblen Sprache um und verwende oft die rein weibliche Form. Ich gehe davon aus, dass Sie, liebe Leser, dass nicht krummnehmen. Sonnige Pfingsten.