18.12.2023 – Still erleuchtet jedes Haus

Frieda’s mobile Donnerbalken. Hier sitzen Sie First Class. Bitte warten, Sie werden platziert!

Quedlinburg, Ostzone, Weihnachtsmarkt in der Altstadt. Mit über 2000 Fachwerkhäusern aus 8 Jahrhunderten Weltkulturerbe und eines der größten Flächendenkmäler in Deutschland. Wenn schon Weihnachtsmarkt, dann aber richtig, zumal sich gerade in solch großflächigen Anklumpungen stimmungsvoller Erhabenheit dem Humor-Connaisseur immer wieder köstliche Pretiosen erschließen, wie „Frieda’s mobile Donnerbalken“.

Sie leben noch, die innerdeutschen Unterschiede, die leider keine Grenzen mehr sind. In der Ostzone wurden Gäste früher in jedem Restaurant platziert. Ein Ritual, dass dem BRD-Insassen völlig fremd war und dem sich daher der Donnerbalken-Scherzgehalt des „Sie werden platziert“ nicht in der notwendigen Tiefe entschlüsselt. Ich hätte mir vor Lachen beinahe in die Hose gemacht, hab’s aber gerade noch bis Frieda geschafft. Beim Preis von 1 Euro werden alte Genoss*innen auch gedacht haben: Non olet, der Kapitalismus macht selbst aus Scheiße Kohle.

Im Angesicht des hell erleuchteten mobilen Donnerbalkens gingen mir Eichendorffs Zeilen durch den Kopf:

Markt und Straßen stehn verlassen,

Still erleuchtet jedes Haus,

Sinnend geh‘ ich durch die Gassen,

Alles sieht so festlich aus.

An den Fenstern haben Frauen

Buntes Spielzeug fromm geschmückt,

Tausend Kindlein stehn und schauen,

Sind so wunderstill beglückt.

Eines meiner eindrücklichsten ersten Leseerlebnisse war „Aus dem Leben eines Taugenichts“ von Eichendorff. Das erschien mir damals, und bei Lichte betrachtet heute noch, nicht die schlechteste Existenz-Variante. Die bürgerliche Abwertung „Taugenichts“ bezieht sich ja nicht auf fehlende moralische Eigenschaften, sondern einzig auf die Weigerung, sich der Norm des kapitalistischen Erwerbslebens zu unterwerfen. Und angesichts der Verheerungen, die der Fetisch „Arbeit“ über die kapitalistische Welt gebracht hat und bringen wird bis zu ihrem bitteren Ende, scheint mir der Titel „Taugenichts“ eine derart über alle Maßen adelnde Bezeichnung, dass ich in den SCHUPPEN 68-Shop für 2024 das Angebot aufnehmen werde:

T-Shirt, mit Aufdruck „Taugenichts“, 68 Euro.

Eichendorff war Romantiker, eine ambivalente Geisteshaltung und Stilrichtung. Einerseits mit der Betonung von Gefühl, Leidenschaft, individuellem Erleben in ihrer Ablehnung der aufkommenden Moderne, Industrialisierung, und damit in der Abgrenzung von den Verstandeswelten der Aufklärung, eine eher Vernunftfeindliche Ideologie, auf die sich letztlich auch die Nazis bezogen.

Andererseits: Wo wären wir ohne Gefühl, Leidenschaft, individuellem Erleben, ohne unsere inneren Welten der Transzendenz, der Spiritualität, der Seele als Antipodin des Verstandes. Und so war ich Frieda’s mobilem Donnerbalken für ein doppeltes Gefühl der Erleichterung dankbar, nämlich auch dem Gefühl: Gut, dass wir auch mal über den Taugenichts als mögliche Figur der Erlösung vom kapitalistischen Joch geredet haben.

Nieder mit der Arbeitswut! Es lebe das Taugenichtsen.

Hier aber endet Eichendorff, gerät die gesamte Romantik an ihr immanente Grenzen fehlender Ideologiekritik. Ideologiekritisch müssen wir Eichendorffs Zeilen natürlich angesichts der massenhaften traumatisierenden Armut gerade in der Weihnachtszeit und gerade für Kinder, die wenig bis nichts geschenkt kriegen, wie folgt ergänzen:

….

Tausend Kindlein stehn und schauen,

Sind so wunderstill beglückt.

400 Kindlein stehn und trauern,

Sind so würdelos bedrückt.

1 thought on “18.12.2023 – Still erleuchtet jedes Haus

  1. Wolfgang Berg

    Ich entschuldige mich aufrichtig für diesen Kommentar! Aber ich teste einige Software zum Ruhm unseres Landes und ihr positives Ergebnis wird dazu beitragen, die Beziehungen Deutschlands im globalen Internet zu stärken. Ich möchte mich noch einmal aufrichtig entschuldigen und liebe Grüße 🙂

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