24.02.2024 – Über Metropolen und die Paradoxie des Kapitalismus

Karneval der Kulturen in Berlin

Wer von der mit 52 Metern höchsten innerstädtischen Erhebung Berlins, dem Kreuzberg, auf die Stadt schaut, der tut sich ein flacher Pfannkuchen öder Langeweile bis zum Horizont auf. Unterbrochen nur vom architektonisch gelungenen Hochhausensemble Potsdamer Platz. Der allerdings städtebaulich eine Katastrophe ist. Ein zombiesker Unort, den Eingeborene meiden. Übertroffen in seiner Trostlosigkeit nur vom nebenan befindlichen Kulturforum. Eigentlich ein Zentrum der Kultur in Deutschland, mit Neuer Nationalgalerie,   Kupferstichkabinett, Gemäldegalerie, dem gigantischen im Bau befindlichen berlin modern , teuerster Museumsneubau der BRD, der Philharmonie, dem Kammermusiksaal, der Staatsbibliothek, dem Ibero-Amerikanischen Institut etc. pp. . Realiter ist der Ort toter als der Zentralfriedhof, ein einziges städtebauliches Desaster, an dem sich niemand länger als nötig aufhält. Keine Bar, keine Restauration, kein Grün, nur eine erweiterte Blech-Pommesbude mit Bierbetrieb. Beide Orte mit zehntausenden Quadratmetern wurden von der Berliner Betonmafia CDU/SPD der Profitgier und dem Größenwahn nach der Wiedervereinigung zum Fraß vorgeworfen und unverdaut wieder ausgeschissen.

Berlin ist anders als London keine Metropole der Architektur, die Hochkultur schwebt als metropolitane Blase über der Stadt. Berlin ist keine Finanzmetropole wie Frankfurt und schon gar kein Wirtschaftszentrum wie München. Die paar DAX-Konzerne, die hier ihren Sitz hatten, sind alle im Orkus verschwunden, wie die Gangster von Deutsche Wohnen oder Geldverbrenner wie Delivery Hero oder Hello fresh.

Berlin hat seinen berechtigten Ruf als einzige Weltstadt Deutschlands, als Metropole eben, dem sub- und alltagskulturellen Geschehen zu verdanken. Alles, was an öffentlicher Inszenierung jenseits des Mainstreams hier stattfand, an Tekknokellern, Clubs, Bars, Galerien, Ateliers, an schrägen Vögeln, Restaurants, an verschonten Lost Places und fluiden liminalen Räumen, hat den Ruf Berlins ausgemacht. Und macht ihn immer noch aus, obwohl der Würgegriff des Kapitals, der Gentrifizierung und der Berliner Spießer alles tut, um die Reste der alternativen Szene, der Subkultur und der anarchischen Räume zumindest im innerstädtischen Bereich zu erdrosseln. Und damit dem Geschäftsmodell Berlins den Garaus macht. Paradoxie des Kapitalismus.

Es ist also die Kultur, die Sphäre von Bewusstsein und Identität, und nicht die Ökonomie, die Sphäre von Sein und Interesse, die die Aura von Berlin ausmacht.

Das ist deshalb von allgemeinem und überragendem Interesse, weil es zumindest den Zustand allgemeinen Handelns und Kommunikation in derzeitiger demokratischer Öffentlichkeit widerspiegelt. Der Prolet und der Mob wählen AfD, obwohl sie massiv gegen deren materielles Interesse verstößt. Die Ersten in den sozialen Brennpunkten, die ins Arbeitslager kommen bei Machtübernahme der AfD, sind jene Arbeitslosen, die sie jetzt wählen. Und die Ersten, die zu kostenloser Zwangsarbeit verpflichtet werden zwecks Landschaftspflege o. ä., sind jene derzeit gutbezahlten Industriefacharbeiter, die jetzt AfD wählen, aber später Verlierer des Technologiewandels werden.

Sie alle wählen AfD aus Gründen einer vermeintlich kulturellen (und völkischen) Identität, wegen Zuwanderung, innerer Sicherheit, zu viel Wokeness, zu viel Gendersprache, zu viel Minderheit-Rechten, zu viel Frauenkrams, zu viel „Eliten“ …. Von allem zu viel. Zu viel Demokratie …

Das ist von beträchtlicher Bedeutung für Strategien zum Erhalt von Demokratie. Die setzen immer noch am Diskurs der Aufklärung an, am Argument, welches am Interesse des Gegenübers ansetzt. Wenn das aber nicht greift – was dann …?

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