
Poetry Slam beim Empfang eines Verbandes. Ich gehe gerne zu Empfängen. Ich gehe nicht dorthin wegen des Fingerfoods oder der Weine, alles in der Regel von überaus inferiorer Qualität. Auch nicht wegen Netzwerken, Lobbyarbeit, Projekte anschieben, wichtige Miene und dicke Hose machen etc. Da bin ich jenseits von.
Ich treffe bei solchen Gelegenheiten immer zwei, drei Kumpel, die trotz des Ernstes aller Lagen ähnlich freigeistig drauf sind wie ich. Man muss sich die Stimmung in der Gegend wo ich sitze, ähnlich vorstellen wie in einer Unterprima während des Kunstunterrichtes: gelöst bis albern (Was das spätere gemeinsame Arbeiten übrigens überaus erfolgreich macht). Dass dabei manchmal Pannen wie die Folgende passieren, liegt in der Natur meiner Sache:
Der Poetry Slammer klärte das geneigte und eher kenntnisarme Publikum über Poetry Slam auf (aus meiner Sicht ein vollkommen überschätztes Mainstream Phänomen; ich steh mehr auf Friedrich Hölderlin und Wladimir Majakowski):
„ … und so breitet sich Poetry Slam seit einiger Zeit rasant aus.“
Darauf ich, halblaut zu meinen Kumpels:
„Das tut das Corona Virus auch.“
Aber ach, was ich als halblaut verstehe, ist auf Grund meiner Schwerhörigkeitsbedingt lauten Stimme eher Saalfüllend, und so drehte sich – wieder mal – der halbe Saal ruckartig nach mir um. In einigen Augen meinte ich sowas wie Missbilligung zu erkennen. Meine Kumpels bissen vor Lachen in die Jackenärmel.
Wie gesagt, ich gehe gerne auf Empfänge…
Erfreulich war auch der Neujahrsempfang der hiesigen Linken. Überaus kurz, weil alle zur Mahnwache wegen der Morde von Hanau wollten und endlich mal eine Rede, der ich gerne zuhörte.

Der Bundestagsabgeordnete Jan Korte vermittelte mir das Gefühl, warum es sinnvoll sein kann, Links zu sein, unter anderem mit der deutlichen Ansage gegen die Positionierung der Linken als zweite Grünenpartei, also einer Partei, die Schwerpunkte ihrer Arbeit in den Genderdiskursen eines urban-alternativen Großstadt-Milieus sucht. Nix gegen Gender, aber die gesellschaftliche braune Kacke ist in den Milieus der sozialen Brennpunkte am Dampfen. Der Kampf muss um höhere Mindestlöhne gehen, um armutssichere Grundrenten und die Abschaffung von Hartz IV, und bestimmt nicht um das auch von mir gerne mal breitgetretene Gender „*“ oder den Austritt aus der Nato. In den Brennpunkten erzielen die Faschisten die besten Wahlergebnisse, orchestriert vom Weiße-Kargen-Elitenmob. Was hilft dagegen? Links?
Links, Links, Links, so heißt es jedenfalls im famosen „Linken Marsch“, der Eisler Vertonung des Hymnus von Majakowski. Nicht unbedingt tanzbar, aber hörens- und vor allem lesenswerte Lyrik.
Auf jeden Fall Links war auch mein Interview mit der Linkszeitung „junge Welt“, das frau hier nachlesen könnte, verbürge es sich nicht hinter einer Bezahlschranke.
Wesentlich lesenswerter und nicht hinter einer Bezahlschrank war allerdings die Rezension der Neuauflage des Klassikers von Wilhelm Reich „Massenpsychologie des Faschismus“. Eines der ganz wenigen Bücher, die ich während meines Studiums mit Erkenntnis und Freude gelesen habe. Auch, weil Reich jenseits seiner bahnbrechenden frühen Erkenntnisse in späteren Jahren ein sehr durchgeknallter Vogel war, der jede Menge hanebüchenen Unfug wie die Orgontherapie oder die Mär vom Primat des vaginalen Orgasmus (siehe auch Freud) verbraten hat.
In der Rezension heißt es über den Gegenstand der Untersuchungen von Reich: „Während die Linke sich an einen idealen Menschen wendet, den es in der Realität kaum gibt, holt die Rechte die Massen in ihren autoritär-destruktiven Charakterstrukturen ab – und gewinnt.“ So isses.
Jede Menge Links heute, liebe Leserinnen. Zwingen Sie sich trotzdem zum Tanzen. Und die Verhältnisse dazu.
22.02.2020 – Jede Menge Links
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