06.09.2020 – We can be heroes just for one day


Wursthelden (Frankfurt Hauptbahnhof). Als ich das sah, musste ich lachen. Ich dachte an den Song „Heroes“ von David Bowie und das der auch das Lebensgefühl der Coronaidioten auf ihren Demos beschreibt, nur dass es sich bei ihnen um Wursthelden handelt.
Als identitätsstiftendes Moment in diesem Helden-Sinne darf man solche Demos überhaupt nicht unterschätzen. Wer einmal in der alten BRD im Bonner Hofgarten mit Hunderttausenden demonstriert hat oder später auf der Straße des 17. Juni, im Wissen, dass er oder sie Teil eines zeitgeschichtlichen Momentes ist, eingebettet in das wärmende Gefühl von Solidarität, wird das nie vergessen (gilt natürlich auch für Anti-AKW Demos, da kann ich aber nix zu sagen, war nicht mein Ding). Für Ideologiebildung und nachhaltiges politisches Handeln – nicht zu verwechseln mit linkem Kneipenstammtisch-Blabla – sind solche Momente prägender als die Lektüre aller bleiern-theoretischer Literatur. Diese Prägung gilt natürlich auch für Klappsköpfe und Nazis und ich möchte nicht wissen, wie viele verwirrte Seelen auf der Demo neulich in Berlin – und demnächst auch bei Ihnen – da psychischen Kraftstoff getankt haben für einen Amoklauf gegen eine Synagoge, in dem erhabenen Gefühl, hero just für one day zu sein. Da kriegt die Zeile des Songs
„We can beat them, for ever and ever“
eine gruselige Konnotation. Oh, ihr armen Wursthelden da draußen, mich dauert Euer krankes Wesen. Lasst Euch doch von Mothers Little Helper Sister Diazepam, Lorazepam und Nitrazepam in seligen Dauerdämmer hüllen. Und geht mir und dem Rest der Aufklärung nicht so unsäglich auf den Sack.
Ok, das war jetzt sehr naiv und ist nur der Tatsache geschuldet, dass ich einen Haufen Arbeit auf dem Schreibtisch vor mir habe und das Angehen solange wie möglich rauszögern will durch Absonderung folgenlosen Geschreibsels. Vorher will ich unbedingt noch Bilder aus Frankfurt wie dieses in der Cloud speichern.

Main mit Gondel und Blick auf Bankenviertel rund um den Gallus. Eigenartig melancholische Poesie liegt in dem Bild. Was für eine Verdrängungskraft liegt darin, der zerstörerischen Wucht der Bankenwelt das „O sole mio“ in einem venezianischen Gondelnachbau entgegen zu halten. Augen zu und durch, weg, bloß weg von hier?
Einen krasseren Gegensatz als zwischen dem Bankenviertel und der paar hundert Meter entfernten Kaiserstr. am Bahnhof kenne ich kaum. Hier die nach Feierabend in Designer-Anzügen vor Nobelbars Cocktails schlürfenden alerten Jungbanker und dort hagere Drogensüchtige, nach dem Schuss auf der Straße zusammengesunken, flankiert von Prostituierten, oft minderjährig und in der Mehrzahl migrantischen Ursprungs. Kaiserstr. ist mindestens eine Nummer härter als Hermannplatz Neukölln.
Ob die vor den Bars sich mitunter Gedanken darüber machen, dass ihre Arbeit, ihr Handeln mitursächlich verantwortlich ist für das langsame Sterben der anderen, ein paar Meter weiter?
Auf dem Bahnhof fluchte ich, weil der Zug 10 Minuten Verspätung hatte. Ich war platt, der Tag war anstrengend, es war heiß, ich schwitzte wie ein Sumo-Ringer in der Sauna.
Reisen um des Reisens willen? Der Weg ist das Ziel? Die Poesie des Unterwegs-Seins? Drauf geschissen, ich wollte nur nach Hause, unter die Dusche. Ein verlorener Tag, dachte ich später im klimagekühlten Zug. Heute weiß ich, dass der Gedanke dumm war. Tage wie diese hinterlassen etwas im Bewusstsein und wenn es das bescheuerte Bild einer Gondel vor Wolkenkratzern ist.

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