27.10.2020 – Erst schmelzen die Polkappen, dann die Narrenkappen.


Protestverbrennung gegen Hamsterkäufe, Location no. 37, Hannover-Ihmezentrum.
Satellitenbilder von Hannover zeigen auf Grund der Kunstaktion „Protest-Verbrennung von 68 Rollen Klopapier“ mittlerweile Rauchschwaden von der Dimension der Brände im Amazonas Becken. Von Hannover ist Nichts mehr zu sehen, was auch besser so ist. Das Klima ist endgültig gekippt, zur Zeit schmelzen die Polkappen, dann folgen die Narrenkappen.
Jenseits der Iden des eigenen Lebens reduziert, wer auf das Prinzip „Altern in Würde“ hält, die Besuchsfrequenz von Wirtshäusern oder übel beleumundeten Spelunken auf tendenziell Null. Rückfälle eingeschlossen und so nahte ich mich gestern nach dem Einkauf, dürstend und hungernd, spontan der letzten Kneipe im hiesigen Kiez, wo sich noch vermodernde Reste der Arbeiterbewegung in Form von SPD-Ortsvereinen, Stammtischen und Damenkränzchen treffen. Durch die dicke Verglasung schimmerten 3,4 Thekenkönige, coronös machbar, also Maske auf, rein und den Thresen-Klopfgruß „ich mach mal den hier“ entrichtet. Undenkbar in den dutzenden Szenesaufstuben, die pestilenzartig den Kiez hier zuwuchern. Ich liebe solche Gesten, die wie Artefakte aus grauer Vorzeit in das Heute ragen.
Großes Hallo: „Na, zündest Du jetzt hier Klopapier an?!“ Der Wirt, sonst eher ein Knurrhahn, brummelte ein anerkennendes: „Gut gemacht.“ Die Geschichte ist offensichtlich rum.
Ich war noch vor dem ersten Bier in aufgeräumter Stimmung, fühlte mich für einen Moment Lokal berühmt und nahm an einem der freien Tische Platz, bereit für Bratkartoffeln. Zwei Tische weiter saß noch jemand, den ich aus frühen Gewerkschaftskämpfen kannte. Wir kamen ins Plaudern, schlugen ein paar alte Schlachten nochmal und gingen die Reihen der Recken durch, lebt der noch, was macht der, usw. Der Kollege ist eine Generation älter als ich. Nachdem wir alles und alle durchhatten, sagte er: „Jetzt ist keiner mehr da.“ Es klang nicht traurig oder resigniert und das machte es umso bitterer. Sonst hätte ich ja versuchen können, ein paar tröstliche Worte zu finden, a la: „Aber das Bier schmeckt uns doch gerade, war doch ne tolle Zeit, etc. pp.“
Aber es war einfach eine Feststellung, eine fast nüchterne Bilanz. Eine Zeit zu leben. Eine Zeit zu sterben. Und jetzt ist eben keiner mehr da. Was soll man da noch sagen. Trauer und Resignation sind Prozesse, können sich wieder verflüchtigen, aber eine Bilanz ist eine Bilanz. Wir tranken schweigend einen Rostocker. Memento mori.
Die Frage nach dem nächsten Kneipenbesuch stellt sich nicht. Teil-Lockdown. Der Wirt fluchte, als ich die Nachricht vermeldete, die gerade über den Ticker lief. Die ganzen Grünkohl-Essen, die langsam anlaufen, hinfällig.
Vom feeling her hab ich kein gutes Gefühl, wenn ich an die Stimmungslage der nächsten Monate in Germanien denke. Aufheitern tut mich im Moment die Selbstdemontage und sich abzeichnende erneute Demütigung des Friedrich Merz durch Angela Merkel. Was für eine Schwachsinns-Idee, das Gremium, das ihn wählen soll, coram publico anzumeiern, es wären alle gegen ihn. Was für ein erbärmlicher Jammerlappen. Was für eine Schapsidee. Die Ideen des Merz.

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