02.01.2021 – Beatz und Rote Fahnen


2021. Keine Satire.
Unlängst brauchte ich als Teilnehmer einer Video-Podiumsdiskussion in einem heisigen soziokulturellen Zentrum vorab einen offiziellen Schnelltest. Das war perfekt organisiert, im hiesigen Hauptbahnhof, nach 5 Minuten war ich dran. Ich fragte: „Und in 30 Minuten kann ich mir das Ergebnis dann hier abholen?“ Dass die freundliche junge Testerin mich mitleidig anlächelte, war sicher eine Projektion von mir: „Sie kriegen das Ergebnis spätestens nach einer halben Stunde auf Ihr Handy.“ Es dauerte keine 15 Minuten, dann lachte mich das Negativ-Ergebnis in freundlichem „Freie-Fahrt-Grün“ via Email an. Wenn die Seuche einen Vorteil hat, dann den, dass der alte Analog-Adam in mir zumindest ein paar Abstriche (hahaha) gemacht haben wird. Ich bin froh über jede halbe Stunde, die ich nicht mit öder Warterei oder überflüssiger Lauferei vergeuden muss.
Ich schlenderte also gemütlich über eine hiesige Flaniermeile. Ich hätte mit dem Testergebnis in der Tasche sogar dem Konsum frönen können in den jetzt sich langsam öffnenden Läden, aber die lange Enthaltsamkeit hatte in mir alle, ohnehin nur geringe, Lust auf Konsum abgetötet. Abgesehen von Socken fiel mir auch nichts ein und so sexy ist der Kauf von Socken – ohne Gummirand! – auch nicht. Von ferne hörte ich ein lange nicht vernommenes Geräusch. Bassdrum, ein Schlagzeuger hatte sein Instrument auf der Straße aufgebaut. Ein paar Leute wippten im Takt der Beatz und Groves und in mir kam ein verschüttetes Gefühl hoch, das Prickeln von Urbanität, Champagnerperlen im Gemüt.
Sie kennen das vielleicht noch, liebe Leserinnen, wenn Sie sich jenseits der bleiernen Theoriewelt von Büchern und TV bewegen, in Erwartung eines Konzertes, Ausstellungen, Theater, Straßenfest. Leben eben, wenn sich irgendwann dieses Prickeln einstellt, nur unzureichend mit Vorfreude beschrieben. Mehr davon, dachte ich, warf einen Nickel in den Hut des Schlagzeugers und schritt der Diskussion entgegen.
Am nächsten Vormittag ein ähnliches Gefühl, bei der Annäherung an das hiesige 1. Mai-„Fest“, was aus Seuchengründen keins war, sondern nur die Aneinanderreihung von öden Reden. Aber ein paar Rote Fahnen und die typische 1. Mai-Aura, die trotz allem über dem Treffen schwebte, erzeugte wieder dieses Prickeln von Urbanität, dieses Mal eher Bier als Champagner. Geht doch, dachte ich, kommt alles wieder, am Horizont zeichnet sich Morgenröte der Hoffnung ab. Wermutstropfen: Diskussionen mit alten Kumpelinnen, Altlinken, noch Aktiven. Teilweise voll auf diesem „Allenichtganzdichtda“-Kurs dieser unsäglichen Schauspielerinnen-Truppe um den eitlen und dummen Fatzke Liefers, also Querspinner-Geschwurbel. Kein Wunder, dass die Partei „Die Linke“ immer mehr abkackt und zur Wahl ein desaströses Ergebnis einfahren dürfte. So viele Spinner. Und spalterische Egomanen, wie leider auch die intellektuell durchaus schätzenswerte Sahra Wagenknecht.
Tragisch, weil selten war eine starke Linke so notwendig wie in Postpandemischen Zeiten, wo sich abzeichnet, wer die Seuchenzeche zahlen wird: Die Reichen werden es jedenfalls nicht sein.

1. Mai. Partisan mit Lenin, Stalin, Mao. Mit Rollator, aber immer noch dabei. Hier gebührt wieder dem unvergessenen Matthias Beltz das Schlusswort:
Parmesan und Partisan, wo sind sie geblieben?
Parmesan und Partisan, beide wurden sie zerrieben!

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