06.05.2021 – Vom Winde verweht


Den Zwerg hat’s bei den Stürmen der letzten Tage umgehauen. Das Bild hat irgendwie Symbolkraft. Wenn sich der Pulverdampf der Seuchenschlachten verzogen hat, werden die Opfer sichtbarer. Dazu gehören mit Sicherheit die ohnehin kläglichen Reste der Linken, Parteigebunden (die Partei „Die Linke“ taumelt zusehends in Richtung 5 %-Hürde) oder nicht. Von einer wie auch immer gearteten kulturellen Hegemonie ist die Linke hierzulande Lichtjahre entfernt, anders als früher, wo die Internationale und ähnlicher Revolutionskitsch zum guten Mainstream-Ton von Kulturbolschewisten und Feuilleton-Radikalinskis gehörte. Der Wegfall der Systemkonkurrenz im Osten hatte ein Riesenheer von Renegaten erzeugt, das umstandslos das Fähnchen in jenen Wind hängte, der in Richtung Neoliberalismus und Irrationalismus wehte.
Es gab und gibt viele, auch gute Gründe, den Sozialismus nicht für das Gelbe vom Ei respektive das Rote von der Fahne zu halten. Zu diesen Gründen gehören sicher nicht Opportunismus und Mainstreamverhalten, also das zu tun, was alle tun. Allein das wäre für mich persönlich ein Grund für ein „Jetzt erst recht links“: Niemals besinnungslos mit einer Horde Renegaten-Lemminge in die gleiche Richtung, nämlich Abgrund, rennen. Man macht sich nicht gemein.
Ein paar blieben bei der Fahne und diese Fahne wird offensichtlich als Folge von Corona-Collateralschäden derartig vom Wind des Irrationalismus zerzaust, dass sie als Orientierungspunkt nicht mehr dient. Rund um den 1. Mai tritt der Verfall der Rest-Linken katalytisch in Erscheinung. Beispiel: Eine sogenannte „Freie Linke“ betrachtet sich explizit als Linker Flügel der Querspinner-Nazis. Unter dem roten Lack riecht es schon nach brauner Kacke. Gespräche mit Linken werden zunehmend je unerfreulicher, je eher jene zum eigenen sozialen Umfeld gehören. Da wird die Wirksamkeit von Masken geleugnet, vom Merkel-Regime gefaselt, von staatlich verordneter Unterdrückung von Meinungsfreiheit in den Medien deliriert, von massenhaften Langzeitschäden nach Impfungen geraunt, das man meint, eine entvölkerte BRD steht ante portas. Wenn es nur so wäre, raunt der Zyniker in mir immer öfter angesichts solcher Hilfeschreie, und anders ist derartiger Irrationalismus nicht zu deuten.
Wissenschafts- und Evidenzfeindlichkeit aller linken Orten. Es gibt so etwas wie eine Erkenntnis nach derzeitigem Stand des Wissens und der Technik und mit dieser Maxime sind wir bisher in der Moderne summa sumarum ganz ordentlich gefahren. Aber nun in Seuchenzeiten gehört es zum guten linken Hobby-Virologen-Ton, 99,9 Prozent aller Expertinnen-Verlautbarungen anzuzweifeln und als Weisheit letzter Schluss aus den obskuren Tiefen des dreimal verfluchten Internets eine Veröffentlichung eines anderen Hobbyvirologen hervor zu zerren, nach der einer nach der Impfung mit Biontech in 60 Jahren Pickel auf der Nase wachsen.
Früher, in unseligen Zeiten, hieß es für „fehlgeleitete“ Intellektuelle: Ab in die Produktion, um Basiserfahrung und Einsicht zu erlangen, und damit zurück auf den rechten, nämlich den linken Weg zu kommen. Heute sollte es für die von mir skizzierte Verfalls-Restlinke lauten: Ab in die Intensivstationen und die Genossin Krankenschwester unterstützen (den Bruder auch). Der Geschmack der Wirklichkeit ist heilsamer als nächtelanges Surfen im Netz und stundenlange Buch- und Zeitungs-Lektüre.
Manchmal denke ich, das Schlimmste steht uns noch bevor, wenn die Seuche vorbei ist.

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