06.03.2022 – Girls will be boys and boys will be girls


Früher … Schifferklause, in den 80ern. In einer eher subproletarisch-prekären Gegend, wo jetzt Penthouses eines Neubaugebietes („Wohnen am Wasser“) locker über eine Mio. kosten. Beim Anblick solch scheinbarer Idylle von Früher denke ich, gerade in Zeiten wie diesen, natürlich auch mit einem Hauch Sehnsucht: Früher war alles besser.
Anders war es auf jeden Fall. Aber verständlich, dass immer mehr Menschen von diesen permanenten Wellen von Veränderungen überfordert sind. Waren es früher vor allem die der Modernisierung, kommen zusätzlich die der Krisen hinzu. Eine Welle überlagert die nächste. Kein Wunder, dass vor allem Männer, weiß und alt, vermehrt wünschen, die alte Übersichtlichkeit käme wieder zurück. Wie heftig diese Sehnsucht ist, zeigt das folgende Zitat:
„Ein Mitglied der Telegram Gruppe „Hanau steht auf“ wünscht sich, dass Putin „bis nach Berlin durchmarschiert“. Dann fiele das Gendern weg. „Sind Männer Männer und keine Frauen.!“
Dieses Zitat bringt es wundervoll auf den Punkt. Es ist ja nicht die Überforderung durch das allmähliche Ändern der Sprachregeln wie beim Gendern. Die Vehemenz, mit der dieser eigentlich alberne Kulturkampf geführt wird, deutet auf tiefere Ängste. Die Angst vor der Auflösung der Geschlechtergrenzen und der eigenen Körperidentität. Der Körperpanzer löst sich auf, alles wird fluid. Das ist dann der gefühlte Untergang. Und solche Bewusstseinsströme kommen natürlich in Angstbesetzten Krisenzeiten wie diesen stärker an die Oberfläche. Da wird dann schon mal ein Putin als Erlöser imaginiert.
Wann fing das eigentlich an mit der Auflösung von Grenzen, Geschlechterrollen, Körperidentitäten?
Eine schöne Geschichte dazu im Song Lola“ (ab 1.05) von den Kinks, 1970. Ein Typ in einem Club trifft Lola, ziemlich nonbinär, würden wir heute sagen:
„she walked like a woman but talked like a man“.
Alles wird fluid, was sind das für verrückte Zeiten:
„Girls will be boys and boys will be girls
It’s a mixed up, muddled up, shook up world, except for Lola, La-la-la-la Lola“

Wie soll Mann damit umgehen?
„Well, I’m not the world’s most masculine man
But I know what I am and I’m glad I’m a man“.

Da wird die monströse Verunsicherung spürbar: I know what I am. Wirklich? Warum dann die Rückversicherung? Unser Lola-Held hält das nicht aus. Nachdem er vorher mit Lola rumgemacht hat, folgt der Zusammenbruch:
I pushed her away
I walked to the door
I fell to the floor
I got down on my knees …

Aber eins dürfte sicher sein: Es (Er) wird nie wieder so sein wie vorher. Da sind Sprünge im Körperpanzer. Die Männerrolle, die die Naziväter ihren Söhnen eingeprügelt hatten, hat Risse: Männer weinen nicht, kennen keine Schmerzen, verlieren keine Kontrolle, wissen, wer sie sind? Nicht mehr wirklich.
Lola, 1970. Und 2022 der Wunsch, dass Putin bis Berlin durchmarschiert, damit das Gendern aufhört.
Wir waren schon mal weiter.

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