
Görlitzer Park, Kreuzberg. Zur Zeit mal wieder schwer in der Diskussion wegen Drogen und Kriminalität. Jeder Vorschlag, der jetzt als mediale Sau durch die Dörfer der Restprovinz geprügelt wird, ist schon 10x gemacht worden. Und alles schon 100x kommentiert worden, auch von Berufeneren als mir. Der verrückteste Vorschlag kam von, natürlich, der SPD: Die Mauer muss weg.
Die um den Görli, weil in den Fugen Drogen versteckt werden können. Und weil dann Sichtachsen zur Kontrolle entstehen könnten. Jeder, der nur mal einen Fuß da rein gesetzt hat, weiß, dass sich die Klientel da ein Ei auf Sichtachsen pellt, den Gesamtpark mit allen Büschen und Winkeln als Versteck nutzt und im Zweifel sofort auf die angrenzenden Kieze ausweicht. Mit der Folge, dass die dann auf Hipstereltern treffen. Und das würde Bürgerkriegsähnliche Zustände produzieren, wenn auf dem Weg zur Kita alle Hauseingänge vollgeschissen sind, mit Spritzen übersät und all night long (auf deutsch: alle Naslang) lautstarke Pöbeleien und Prügeleien an der Nachtordnung sind.
Der war on drugs mit all seinen Repressionen und Befriedungsversuchen ist komplett gescheitert , musste notwendigerweise scheitern, weil der pandemische, zerstörerische Gebrauch von Drogen nichts mehr mit dem hedonistischen Drogen-Glücksversprechen seliger Hippiezeiten zu tun hat, sondern alles mit der mörderischen Profitgier in Zeiten des Kapitalismus. Der für das Elend, was er seit Jahrzehnten pandemisch verstärkt selbst produziert, gleich die tödliche Scheinlösung mitliefert. Ist der Handel noch so klein, bringt er doch mehr als Arbeit ein.
Es gibt für den Görli keine Lösung. Außer Legalisierung aller Drogen und Aufteilung des Parks nach verschiedenen Usergruppen; wo der Handel zwar illegal ist, aber geduldet wird. Plus Druckräume vor Ort und Behandlungs- und Beratungsinfrastruktur.
Ich habe unlängst in der untergehenden Sonne (Every junkie is like a setting sun; Neil Young in „Needle and the damage Done“ ) da ein Video gemacht, natürlich brüllte sofort ein schwarzer Dealer hochaggressiv los, den ich im Gegenlicht nicht gesehen hatte. Auf die „Diskussion“ hatte ich keinen Bock und sauste per Klappi (Klapprad, der echte Berliner macht aus allem ein Diminutiv) weiter. Vorbei an den Clubs in Friedrichshain, die vom irrsinnigen Ausbau der A100 bedroht sind. In der „Wilden Renate“ (also im Club jetzt, nicht …), noch nicht geöffnet, aber offen, hatte ich wieder Videopech. Ein wieder von mir Übersehener, dort Tätiger, punkte mich rüde an, ich solle das Video löschen und blockierte meine Wegfahrt. Der Mann war juristisch im Recht, aber bei sowas verstehe ich wenig Spaß, und kündigte an, das doch die Polizei klären zu lassen. Clubleute haben immer was mit Drogen am Laufen, deswegen verzichtete die Crew auf weitere Eskalationen.
Auf dem Rückweg schob ich mein Klappi über die Oberbaumbrücke, in einem der dunklen Rundbögen hockte ein Junkie und stocherte mit seiner Spritze in der Wade, woanders fand er wohl keine Einstichstelle mehr. Der Kolben war herausgezogen und im Zylinder helles Blut, was auf Grund der Düsternis in den Rundbögen umso heller schien, fast als ob ein Spot drauf gerichtet wäre.
Tage wie diese gehören in bestimmten Ecken von Berlin dazu, rufen aber schon mal das Gefühl nach etwas weniger Leben hervor. Mehr so in Richtung Wald, Wellness, Wohlstand und Villen.

Auf nach Frohnau. Villenviertel in Berlin. Ruhe, Harmonie, Beschaulichkeit, viel Grün, eine Villa immer schöner oder zumindest skurriler als die andere. Die obige schien mir in ihrer geschmacklosen Scheußlichkeit mit den Gruselkarren davor das Refugium eines selbstständigen Handwerkers zu sein. Heile Welt des Kapitalismus.
Beim genauen Hinsehen jedoch hatte diese heile Welt erste Risse, der Putz am Treppenabsatz bröckelt und an der Brüstung des Balkons nagt der Zerfall. So ist das halt mit dem Kapitalismus: Wenn man am schönen Schein kratzt, kommt irgendwann Verfall und am Ende die hässliche Fratze des Görli hervor. Und wer weiß, wie viele Kinder von wohlanständigen selbstständigen Handwerkern nicht da Kunden sind. Im ersten Moment fand ich das beinahe tröstlich. Der Luxus des Einen ist immer das Elend des Anderen, das ist eherne kapitalistische Dialektik. Aber ist so ein Trost nachhaltig? Eher nicht.