24.07.2024 – Über die Funktion von Pop und Fußball als kulturelle Massenphänomene in Zeiten demokratischen Verfalls. Teil 2: Der Übergang.

Langspielplatte. Themenzentriert. Die Vinyl-Langspielplatte setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg deshalb als Medium durch, weil sie, industriell massengefertigt, kostengünstig Pop-Künstler*innen die Möglichkeit gab, Konzeptalben zu produzieren, sich detaillierter und intensiver mit Themen auseinanderzusetzen. Beispiel von 1969: Die Rockoper „Tommy“ von The Who . Technologische Veränderungen erweiterten also die künstlerischen Möglichkeiten und diese Dialektik trug mit dazu bei, den Pop aus seiner subkulturellen Nischenfunktion in den Mainstream und damit in eine globale, grenzenlose Kapitalverwertung zu integrieren, so wie sie sich heute darstellt. Aus emanzipatorischer Sicht ist die Frage: Wo, ab wann und wie schlägt der zeitgenössische, fast völlig entpolitisierte Pop vor allem in seiner Version als Stadion-Rock von einer reinen Kapitalverwertungsmaschinerie in ein Instrument um, das die kulturelle Hegemonie im Sinne einer Faschisierung der Gesellschaft befördert?

Ähnliches gilt auch für den Stadion-Fußball. Der ebenfalls aus einer Nischenkultur als Arbeitersport zu einem globalen Massenphänomen im Spätkapitalismus geworden ist und mit seinen kommerziellen Sumpfblüten und Korruptionen dessen neoliberale Auswüchse auf neue Höhen treibt.

Wer hätte nicht schon bei derartigen Stadion-Massenaufmärschen, den Rock-Dramaturgien mit ihren Lichtdomen, rauschhaften Fussball-Chorgesängen der Zehntausenden und ikonisch inszenierten Idolen auf der Bühne, auf dem Platz, an die Nürnberger Reichsparteitage auf dem (Led) Zeppelinfeld gedacht . Wo nach dem Krieg Rockkonzerte stattfanden.

Der Faschismus verfolgt im Wesentlichen drei Strategien, die sich parallel ergänzen und überlagern, zur Machtübernahme: Beteiligung an demokratischen Wahlen, die Ausübung von Gewalt und Terror, die Erlangung kultureller Hegemonie. Den aktuellen Stand der Machtbeteiligung mittels Wahlen werden wir im September beobachten, wenn die AfD in drei ostdeutschen Bundesländern die stärkste Partei wird. Flankierend haben jetzt die Nazis in Sachsen den einzigen parteilosen Landrat der nicht von der CDU gestellt wird, mit Gewaltandrohungen zum Rücktritt getrieben. Immer mehr Antifaschist*innen stellen drüben ihre Arbeit ein, aus Angst um ihr Leben. Unabhängige Jugendzentren machen „drüben“, aber nicht nur da, dicht. Sie fallen als wesentliche Träger diverser, bunter Kultur aus. Was bleibt, ist Stadionrock, Tekknofeste, Mainstreammüll. Und Rechtsrock. Die personellen Identitäten zwischen Rechtsrock, der Hoolszene im Fußball und faschistischen Parteien sind flächendeckend, tiefgreifend und verschaffen einer faschistischen Legitimation in der gesamten Alltagskultur eine schlagkräftige Durchsetzung.

Auch in Thüringen wird im September gewählt. Thüringen war das erste Land, in dem die NSDAP in der Weimarer Republik an der Regierung beteiligt wurde, 1930. Sofort wurde dort die Schul-Lektüre von „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque verboten und 70 Kunstwerke aus dem Weimarer Schlossmuseum als entartet entfernt.

Kulturelle Hegemonie, als Zangenbewegung, in diesem Fall von oben durchgesetzt.

Wenn man vor diesen Hintergründen die offensichtlichen psychischen Bedürfnisse der Konsumentinnen berücksichtigt, die im Stadion-Rock und Fußball befriedigt werden und die politisch funktionalisiert werden können, kann einem nur gruseln: Die Verschmelzungs-Sehnsucht, in der Masse aufzugehen, eins zu werden mit Zehntausenden, am Ende Millionen, Teil zu werden einer großen Erlösergemeinschaft. Und die bedingungslose Identifikation mit dem Führer-Idol, oben auf der Bühne. Oder auf dem Rednerpult.

Skurrile Randnotiz: Die Träger der früheren Nischenkulturen Pop und Fußball, Subkulturen und Arbeiter, sind vom Konsum „ihrer“ früheren Kultur in den Stadien mittlerweile durch den Preis ausgeschlossen. Subkultur-Angehörige, prekäre Existenzen wie Bürgergeldbezieher*innen, können noch nicht mal davon träumen, hunderte von Euro Eintritt, bei Schwarzmarktpreisen bis zu 5.000 Euro, für Taylor Swift oder ähnliche Konzerte zu bezahlen. Ähnliches gilt für einen Facharbeiter, der Familie hat. EM-Finale in Berlin? Eher nicht.

Demokratie im Übergang.  Quo vadis, Germania?

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