
Bild, 22.06.2017. Warum uns die Welt beneidet. Kultur … Und Fussbal sowieso. Politische Stabilität nicht zu vergessen
Pop und Fußball sind global die herausragenden kulturellen Massenphänomene mit wachsender Bedeutung, auch ökonomisch. Beide sind die letzten Großerzählungen, die noch eine Klammer zwischen den disparaten gesellschaftlichen Gruppen herstellen können. Das letzte Lagerfeuer, an dem sich alle versammeln. Wenn einem nichts mehr einfällt, redet man über Taylor Swift und den gestohlenen Elfer bei Deutschland-Spanien. Da kann jede was zu sagen.
Die Frage ist: Was richten diese Massenphänomene aus (oder: an?) in Zeiten demokratischen Verfalls, beschleunigen sie ihn, haben sie friedensstiftendes Potential? Neutraler, und grundlegender: Welche Funktion haben sie überhaupt?
Beide kommen ursprünglich aus Nischen: Fußball war jahrzehntelang Arbeitersport, abzulesen unter anderem an der immer noch quasi religiös beschworenen Einheit von Fußball und Kohlekumpels im Ruhrpott, siehe Dortmund und Schalke. Ein mit nichts mehr gefüllter Mythos. Pop, hier verstanden als alle populäre moderne Massenmusik wie Rock, Schlager, Jazz, Rap etc., war früher mit allen sonstigen Ausprägungen wie Mode, Sprache, Habitus eine Erscheinung der Subkultur. Sex and Drugs and Rock‘n Roll.
Beide wurden vom bürgerlichen Mainstream verachtet, ja regelrecht gehasst, und von den Medien gemieden. Fußball wurde noch in den 70ern in der Sportschau gleichberechtigt übertragen neben Radball, Galopprennen und Rhönradfahren. Pop fand weder im TV noch im Radio statt bis in die 60er, da musste man schon amerikanische Soldatensender hören.
Das änderte sich mit dem gesellschaftlichen, technischen und ökonomischen Wandel im Rahmen und als Folge des Wirtschaftswunders. Wachsender Wohlstand, Aufkommen der Konsumgesellschaft, gesellschaftliche Schranken zwischen Klassen und Schichten wurden abgebaut, Liberalisierung, mehr Toleranz, kulturelle Neugier auf der einen und das Aufkommen neuer Medien wie das Fernsehen, Cassettenrekorder, Vinyl auf der anderenSeite, um nur ein paar Bedingungen für Wandel zu nennen: Die Trüffelschweine des Kapitals erkannten sofort zwei gigantische Goldgruben. In den 60ern wurde mit der Bundesliga der Profifußball in Deutschland eingeführt und dem Rock mit dem Aufkommen von Supergroups die rebellische, unkommerzielle Attitüde ausgetrieben. Love and Peace wurden zu Konsumartikeln. Ein Millionengeschäft, das sich im Laufe der folgenden Jahre in ein Milliardengeschäft ausweitete und seine Heimat im Stadion fand. Vergötterte Idole im Pop und im Fußball. Das Stadion ist die neue Kathedrale der Postmoderne, wo die Gläubigen in ekstatische Verzückung verfallen, wenn Christus an Drahtseilen vom Himmel schwebt. Eine beliebte Inszenierung bei Popkonzerten.
Das Analogon im Fußball ist die magische Berührung von und das Selfie von Flitzern mit dem Halbgott Ronaldo, vergleichbar mit der Heilung durch Handauflegen von Christus. Dessen Vater Zimmermann war. Zimmermann, da war doch was. Bob Dylan, teilweise der religiösen Rechten zugehörig , heißt eigentlich Robert Zimmermann. Halleluja.
Über die Bedeutung von Kulturindustrie im Spätkapitalismus gibt es in der Nachfolge von Adorno und Horkheimer, besser noch Walter Benjamin, massenhaft Literatur, von größeren Schlaubergern als ich es bin . Da es aber keine nennenswerte Linke mehr gibt, kein Schwein mehr Frankfurter Schule liest und kritisches Gedankengut auf dem Markt der Beliebigkeiten für ein Appel und Ei zu haben ist, kann man ja ab und zu an Grundlegendes erinnern. Vor allem dann, wenn der Spätkapitalismus in eine neue Phase eintritt. Niemand weiß, was dabei herauskommt und welche Funktionen Kultur dabei hat. Man kann daher gar nicht oft genug daran erinnern, dass Hauptstrategie faschistischer Machtübernahme die Herstellung von kultureller Hegemonie in der Gesellschaft ist. Der Spätkapitalismus ist aktuell offensichtlich dabei, sich von seiner lästigen Hülle Demokratie zu befreien, ohne den eigenen Untergang befürchten zu müssen. Wie wunderbar Spätkapitalismus ohne Demokratie funktioniert, kann man ja in China bewundern. Warum nicht auch bei uns?
Nachdem wir heute kurz die Geburt von Pop und Fußball als kulturelle Massenphänomene angerissen haben, gucken wir den beiden Kindern beim nächsten Mal zu, was für Schaden sie beim Erwachsenwerden anrichten können.