Tagebuchseite.
Nehmen wir an, Ihre Partnerin will Sie verlassen, Sie haben Ihren Job verloren oder die Diagnose einer schweren Krankheit bekommen. Daraufhin fangen Sie an zu trinken und widmen sich ansonsten intensiv der Reinigung Ihrer Fenster. Verdrängung, höre ich da schon die ersten Schlauberger rufen. Was kommt am Ende dabei raus? Saubere Fenster, dicker Kopf, Schrumpfleber, Arbeitslosigkeit, Partnerin weg und naher Tod. Positiv an der ganzen Sache höchstens ein paar formidable Räusche, ansonsten ein Verhalten, das auf die Couch gehört. Und im schlimmen Fall in die Klapsmühle.
Nehmen wir an, unsere Gesellschaft ist vom Klimakollaps bedroht, der Faschismus nimmt rapide bedrohliche Formen an, Seuchen, Rezessionen, Massenarmut, Obdachlosigkeit stehen vor der Tür. Daraufhin fängt die Regierung an, die Grenzen zu kontrollieren, den Waren- und Personenverkehr zu drosseln, die Nachbarländer zu verärgern, dem Europa-Gedanken einen finalen Leberhaken zu versetzen und massive Rechtsbrüche zu begehen. Wegen eines Problems der dritten Kategorie, nämlich vorübergehender Belastungen der Kommunen durch Migration. Ein Problem der dritten Kategorie, was sich durch den Einsatz von ein paar Milliarden Euro lösen ließe, einem Bruchteil der 100 Mrd. Euro, die im Rahmen des Ukrainekrieges für das Militär lockergemacht wurden, über Nacht, am Parlament vorbei.
Logische Schlussfolgerung: Eine derartige Gesellschaft gehört auf die Couch, eher sogar in die Klapsmühle.
Es gibt Probleme, mit denen darf eine Gesellschaft bei Strafe des eigenen Unterganges nicht leben, Faschismus und Klimakatastrophe z. B. Es gibt andere Probleme, mit denen muss eine Gesellschaft lernen zu leben, straffällige Mitglieder z. B., Dreck auf den Straßen, Idioten auf der Regierungsbank oder Migration. All diese Probleme haben Konsequenzen, tragischerweise Tote z. B. Es gibt allein in Deutschland mindestens 100 Femizide jedes Jahr. Logisch wäre es also in der derzeitigen gesellschaftlichen Logik, alle Männer des Landes zu verweisen und an den Grenzen keine reinzulassen.
Probleme, schlimm, tragisch, aber eine Gesellschaft geht daran nicht zugrunde. Dass unsere Gesellschaft von Politik über Medien hin zum Mob zur Zeit in ein kollektives, hysterisches Verhaltensmuster wegen Migration verfällt, hat alle Symptome schwerster Beklopptheit, und was am schlimmsten ist: Diese Causa beleidigt mein Stilgefühl jeden Tag weit unter meinem Niveau. Die Gesellschaft verliert die Contenance. Quel horreur!
Natürlich wäre ich nicht ich, wenn ich nicht Heilung im und vom Wahn wüsste. Zumindest individuell und exclusiv für Sie, liebe Leserinnen: Schreiben Sie Tagebuch, jeden Tag. Allein die Benennung der alltäglichen Schrecken raubt denen ihre dunkle, vernichtende Urgewalt. So kam die Sprache in die Welt: Den unsagbaren Schrecken einen Namen geben, sei es der Säbelzahntiger in der Nachbarhöhle oder der regelmäßig einbrechende Winter.
100 Wörter jeden Tag, eine DIN A6 Seite, das reicht erstmal. Ersetzt 90 Prozent aller Therapien. Und wenn Sie Schönes erleben, wunderbar, wenn es am Tag danach noch einmal auflebt, präzisiert wird.
Bitte sehr, gern geschehen, und im Gegensatz zu Therapiequacksalbern gänzlich kostenfrei. Aber nicht umsonst….