Die Kunst-Installateure Gleitze & Sievers auf der 13. Documenta 2012. Eine Hommage an Marcel Duchamps Urinal „Fountain“, einem Schlüsselwerk der modernen Kunst . Korrigiere: Schüsselwerk. Kollege Sievers spielte bei dieser Intervention die tragende Rolle. Er musste das Teil, das deutlich mehr als eine Kiste Bier wiegt, die ganze Zeit schleppen.
Die Kunstwelt überschlug sich vor Begeisterung und referierte Inhalt und Absicht der Aktion exakt, was selten genug vorkommt. Hier aus dem Kunst-Magazin. Besucher*innen der Documenta bescheinigten uns: „Das ist das originellste Werk dieser Documenta“.
Ich krame das aus aktuellem Anlass hervor, hat doch die Documenta für ihre 16. Ausgabe 2027 vor ein paar Tagen eine neue Leitung bekommen, die die fast unlösbare Aufgabe hat, die Documenta vom antisemitischen Makel ihrer letzten Ausgabe zu befreien. Eine schwarze Frau. Im Prinzip angemessen, wurden die ersten 12 Documenta ausschließlich von fast immer weißen, meist ältlichen Männern geleitet. Normal grotesk und wenig verwunderlich, ist doch die Gründungsgeschichte der Documenta nationalsozialistisch imprägniert .
Nun ist es aber nicht erst seit Maggie Thatcher ein alter Hut, dass allein der Status „Frau“ in verantwortlicher Position keinesfalls vor Torheiten oder gar reaktionärem Unrat schützt. Die Leiterin der 13. Documenta Carolyn Christov-Bakargiev hatte beispielsweise nicht alle Latten auf dem esoterischen Zaun, als sie „Multispezies-Führungen“ auch für Hunde anbot, Erdbeeren als Kunstproduzenten verortete, ein Wahlrecht für beide forderte und auf die Frage, ob es denn keinen Unterschied zwischen menschlicher Kunst und tierischen Erzeugnissen gebe, sagte: „Nein, absolut nicht!“ Da hatten wir mit unserem Natursekt die Messlatte noch hochgelegt.
Diesen multispeziezistischen Unfug konnte frau noch schmunzelnd als schwer neben der Kappe abkanzeln (heute: off-canceln). Aber leider ist es von Esoterik zu Antisemitismus nur ein winzig kleiner Schritt und den tat folgerichtig ihre Nachfolgerin. Die letzte Documenta versank in einem nicht enden wollenden Antisemitismus Sumpf . Ein Skandal, der die verantwortliche Ministerin Claudia Roth als gruselige Fehlbesetzung decouvrierte, die Stadt Kassel bis auf die Knochen blamierte und den latenten Antisemitismus in der Kunstszene, im Juste Milieu des kulturaffinen Bürgertums und der angrenzenden Pseudo-Linken als das kenntlich machte, was er auch in Deutschland nach 80 Jahren noch ist: Lebendig. Und bereit, jederzeit die Meinungsherrschaft zu übernehmen. Bevor dann die richtigen Nazi-Profiteure die restliche Herrschaft übernehmen.
Ich hoffe, die neue Documenta-Leiterin bewegt sich in diesem verminten Terrain, ohne dass auch die nächste Ausgabe der Gesellschaft um die Ohren fliegt. Bin da aber skeptisch. Der derzeitige kulturelle Diskurs ist geprägt von Dekolonisation, Diversität und Identitätspolitik und diese Bereiche und ihre Protagonistinnen sind bis auf wenige Ausnahmen bis ins Mark antisemitisch angefault.
Bitter für mich als jemanden, der sich als Teil einer unabhängigen, radikalen, kulturaffinen Linken und des Kunstbetriebs verortet. Aber ein Blick in die reale Welt außerhalb des Betriebs zeigt: Das ist ein lächerliches Luxus-Wehwehchen und auch kein wirklicher Verlust. Früher war jede Documenta ein Hochamt für mich, heute gibt ein wacher Gang durch die Berliner Atelier-, Galerie- und Museumsszene wesentlich präziser und aktueller Auskunft über den derzeitigen Stand der zeitgenössischen internationalen Kunstproduktion.
Eine gute Predigt sollte immer und gerade zum Fest der Liebe versöhnlich enden und so soll hier zur Ehrenrettung der Schwestern auf das Schicksal von Elsa von Freytag-Loringhoven hingewiesen werden, eine radikale Dada-Künstlerin und Zeitgenossin von Duchamp. Möglicherweise war sie, und nicht er, Schöpferin von „Fountain“, dem einflussreichsten Werk der modernen Kunst.