Meerrettich und Mittelschicht – wo sind sie geblieben?
Meerrettich und Mittelschicht – alles wird zerrieben.
(nach Mathias Beltz).
Innerhalb kurzer Zeit haben die beiden Kiezläden dicht gemacht, die ich mit am häufigsten frequentiert habe und zu denen sich ein so inniges Verhältnis entwickelte, dass sie in die rare Garde der offiziellen SCHUPPEN 68-Sponsoren aufgenommen wurden: die Fösseapotheke und die Fleischerei Gothe. Der Kiez trauert. Und das ist so verlogen wie vieles an diesem alternativspießigem Kiez-Getue, das mir immer mehr auf den Sack geht.
Die Läden haben dicht gemacht, weil sie von immer weniger Kundinnen frequentiert wurden.
Apothekenketten wie DocMorris und Internetbillgheimer haben dem Einen das Genick gebrochen und die abnehmende Zahl von traditionellen Mittelschichtshabitus-Kundinnen dem Anderen.

Fleischerei Gothe. Emotionaler Abschied.
Auf der einen Seite Lowest-Budget Fleischtheken in Supermärkten, wo es ein halbes Schwein für 5 Euro gibt, am anderen High-End der Skala Biofleisch-Kundinnen, die es sich leisten können, im Ökoladen ihres Vertrauens in einer stilvollen Zeremonie Abschied von ihrem persönlichen Lamm (individueller Lebenslauf von der Geburt bis zum Bolzenschuss garantiert) zu nehmen. Die Mitte bricht weg, ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Wachsender Luxus und Distinktions-Hedonismus bei den wohlhabenden 20 Prozent, denen über 80 % des Nettovermögens gehört (dem reichsten 0,1 Prozent ca. 25 Prozent des Gesamtvermögens). Die Zahl der Millionäre nimmt zu, jedes Jahr um ca. 1,5 Prozent, auf mittlerweile 1,1 Millionen (mobiles Vermögen natürlich, das berühmte „Häuschen“ im Grünen ist da nicht mit drin)
Am „unteren“ Verteilungsende weitet sich die Zone von Prekariat und Armut immer mehr aus, 25 Prozent arbeiten im Niedriglohnsektor unter 9,30 Euro/Stunde. Da liegt man selbst bei Vollzeit nicht viel über der Armutsschwelle von 907 Euro in Niedersachsen.
Die Mitte schrumpft. Und was tut die Mitte? Kriegt Angst vor dem sozialen Absturz und reagiert mit Aggression, Wut, Ausgrenzung. Natürlich nicht gegen die Verantwortlichen für die Situation, sondern gegen die eh schon Benachteiligten, gegen Hartz IV Empfängerinnen, Flüchtlinge, Obdachlose. Der Mob, der aus der Mitte kam. Aber jammern, wenn der Einzelhandel im Kiez dicht macht. Feine Gesellschaft.
Bevor ich anfange zu kotzen, hier der aktuelle Gender-Stand der geschlechtersensiblen Sprache

Kundinnin – Die doppelt-feminine Plural Bildung. Meine Änderungsschneiderin. Nähen ist nicht so mein Ding.
Darf man auf Kosten von migrationsbedingten Sprachdefiziten Scherz machen?
Ich hab nie behauptet, dass ich Jesus bin!
05.01.2016 – Meerrettich und Mittelschicht – wo sind sie geblieben?
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