12.03.2017 – Polaroid und die Arbeitslosen von Marienthal

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Bild vom Bild vom Bild.
Das auf dem Tisch ist ein Polaroid von dem Moment, wo das famose Kollektiv der verdienten Kulturschaffenden die zündende Idee für die fünfte Ausgabe der NETZ – Niedersächsische Teilhabe-Zeitung hatte. Von diesem Polaroid mache ich gerade, wie man im Bild sieht , ein Foto mit meinem Smartphone. Diesen Moment wiederum halte ich, wie man im Bild sieht, mit meiner Lumix Kamera fest. Das ist ein metamedientheoretischer Geniestreich und sieht auch praktisch drollig bis verwirrend aus. Das Bild stellt die grundlegende Frage: Wie nehmen wir unsere Wahrnehmung wahr?
Der Fortschritt ist eine Schnecke, die mit Vornamen Sysiphos heisst. Die Landesarmutskonferenz unterstützt eine neugegründete Initiative von Menschen in unterschiedlich prekären Lebenssituationen: Die Gruppe Gnadenlos Gerecht. Die Gruppe hat in wenigen Wochen eine Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen unter dem Motto: Wie viel braucht der Mensch zum Leben?
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Auftakt ist am 21.03.2017. Details hier.
Die Gruppe hat extrem viel Potential, früher, noch vor der Zeit des Polaroid, also quasi in der Steinzeit, hätte man gesagt: eine Kaderorganisation. Die Hälfte der Mitglieder sitzt für verschiedene Parteien in kommunalen Parlamenten, hat hohe Organisationskompetenz, kennt sich in Sozialgesetzbüchern aus, produziert excellente Ideen für Öffentlichkeitsarbeit und geht auch dahin, wo es schmutzig ist, mit Flyern zur Werbung in Kneipen, Geschäften, etc. Wenn diese Gruppe ein Massstab für den Organisationsgrad und das politische Potential der Prekären in der BRD wäre, dann: Revolution ante portas. Es gibt 13 Millionen Arme, 25 Prozent aller Beschäftigten arbeiten im Niedriglohnsektor mit weniger als 9,50 Euro Stundenlohn, die Ausnutzung der Beschäftigten in der Fleischindustrie in Niedersachsen ist nichts weniger als flächendeckend organisierte Kriminalität. Ich schätze, dass ca. 20 Millionen nicht zur „Mitte“ der Gesellschaft gehören. Also genügend Potential für emanzipatorische Veränderungen, jenseits von Schulz und Agneda 2010 revisited?
Die Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ von 1933 ist ein Klassiker der soziologischen Empirie und jeder, der den Begriff „soziale Bewegungen“ nur richtig buchstabieren will, sollte davon gehört haben. Die Studie weist nach, dass Arbeitslosigkeit nicht revolutionären Geist produziert, sondern Resignation, Frustration, Isolation. Was immer sich damals die KPD, später Marcuse und danach die Philosophie-Protagonisten der Prekariats erhofften, es wird keine soziale Bewegung davon und damit geben, im Sinne der Arbeiter-, Frauen – oder Ökobewegung. Auch heute und erst recht nach über 10 Jahren Hartz IV sind nur wenige Ausgegrenzte für Selbstorgansiation mobilisierbar und auch die sind mitunter kaum noch kommunikations- und kooperationsfähig, mit einer minimalen Frustrationstoleranz.
Die Wut richtet sich im Zweifel nicht gegen „die da oben“, sondern gegen noch Ausgegrenztere wie Flüchtlinge und richtet als Kollateralschaden im günstigsten Fall mitunter Chaos und Konfrotation in den eigenen Reihe an.
In summa bin ich mal wieder urlausreif und setze mich für eine Woche in den Süden ab und mein Wunsch wird immer stärker, alles mal für ein Jahr hinzuschmeissen und ein Sabbatical in Berlin einzulegen.
Alles eine Frage der Wahrnehmung, von Polaroid bis Marienthal.

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