10.09.2017 – Wenn gehobenes Bürgertum politisch wird, geht das meistens in die Hose

winkelemente
Kuppelsaal, Hannover, Last night of the proms, 09.09.2017. Last Night of the Proms ist ein Spektakel, das seit über 100 Jahren in London stattfindet, meist in der Royal Albert, klassische Musik für alle mit Partycharakter. Wird seit Jahren auch in Hannover veranstaltet und im TV übertragen, hier ein eher steifes Fest für das gehobene Bürgertum.
Ein Freund hatte Karten für 5 Euro ergattert. Man war etwas sichteingeschränkt, ich konnte den Dirigenten nicht sehen. Kein Verlust, Dirigenten werden maßlos überschätzt. Ich hab mal einen Crashkurs in Sachen Dirigieren gemacht. Mit 5 verschiedenen Schlägen, so bezeichnet man das Gehampel der Pinguine auf dem Pult, kommt man locker durch die meisten Dirigate. Der hiesige Hampelmann, der Engländer Andrew Manze vom NDR Symphonieorchester, zeichnet sich dadurch aus, dass er immer noch kein Wort Deutsch spricht, obwohl er seit Jahren hier arbeitet. Zum Vergleich: der Engländer John Cryan ist seit 2015 Chef der Deutschen Bank und spricht mittlerweile akzentfrei und besser Deutsch als 95 % der Ostgoten. Soviel zum Unterscheid von Kultur und Kapital.
Es war ein außerordentlich unterhaltsamer und angenehmer Abend, mit einer herausragenden Sopranistin, deren stimmliche Strahlkraft den Raum selbst in zarten Pianophasen füllte. Der Tenor kackte dagegen ziemlich ab. Es gab auch entsetzliche Scheußlichkeiten wie ein Duett aus der Operette „Der Vogelhändler“, wo mir vor lauter Kitsch die Ohren bluteten. Geschenkt. Für 5 Ocken kannste nich mekka.
Leider gab es auch einen Abschluss und Höhepunkt. Edward Elgar, Pomp and Circumstance, mit dem Text von “Land of Hope and Glory” von 1902. Der Text ist ein schwülstiges Abfeiern der imperialen Größe der Kolonialmacht Großbritannien, genau der nationalistische Müll, der überall in Europa damals gefeiert wurde und folgerichtig in den ersten Weltkrieg führte.
Gott, der dich mächtig gemacht hat,
Möge dich noch mächtiger machen.

Nun hatte sich für gestern der NDR ein politisches Zeichen ausgedacht für die höheren Stände. Überall lagen EU Wink-Elemente herum, die dann bei Land of Hope and Glory geschwenkt werden sollten (TV Übertragung!). Sie wissen schon, Brexit und so (vielleicht auch Anti-EU AfD!?), da muss man doch mal Flagge zeigen!
Was die gehobenen Stände auch wie närrisch taten, das sieht man an den hellen Stäben oben im Bild, wenn man es sehen kann.
Ich aber war ergriffen ob so viel politischer Grunzdämlichkeit. Wenn man was Positives über die EU sagen kann, dann ist es ihr Ansatz, den Nationalcharakter von Staaten zu überwinden und in ein Friedenstiftendes Moment zu überführen (Na gut, „wir“ haben die Kriege externalisiert, exportiert, aber intern ist erstmal Ruhe im Karton. Ein erster Schritt.).
Das in direkte Verbindung zu bringen mit einem imperialistischen Lobgesang wie Land of Hope and Glory, soviel unfassbare Blödheit trieb mich sofort aus dem Kuppelsaal und auf die Toilette. Wie gesagt: Wenn gehobenes Bürgertum politisch wird, geht das meistens in die Hose.
Da bin ich mal auf das Feuilleton von morgen in der hiesigen Bürgerpresse gespannt.
Ich wünsche Ihnen, geschätzte Leserinnen, einen charmanten Start in die Woche.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert