11.07.2019 – Über den allgemeinen Verfall der Sprache und der Sitten


Aus der Ausstellung „Summer of Love 1967“ im PalaisPopulaire, Berlin. Gesellschaftlichen Verfall, Zerstörungen mittels Drogen wie LSD zu stoppen, hat einen ähnlichen Charme wie den Abwasch des Meißner Porzellans mit dem Vorschlaghammer zu erledigen.
Dass die soziale und ökologische Zerstörung unserer Lebensgrundlagen rapide zunimmt, ist allgemeiner medialer Tenor (Betonen Sie’s beim Smalltalk nicht auf der zweiten Silbe!). Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus nehmen zu, Fluchtursachen werden durch den Klimawechsel ein Ausmaß annehmen, das ich lieber nicht mehr miterleben möchte angesichts der Tatsache, dass der gemeine Ostgote jetzt schon, wo wir fast jeden Neuankömmling dringend brauchen, in eine angsthysterische Dauerhyperventilationsstarre verfällt. Zum Vergleich: Nach dem zweiten Weltkrieg integrierte die BRD 16 Prozent ihres Bevölkerungsanteils an Flüchtlingen, die DDR 25 Prozent. Das wären auf heutige Verhältnisse umgerechnet ca. 15 Millionen Flüchtlinge, die wir integrieren müssten. Zur Finanzierung dieser Aufgabe wurde eine Vermögensabgabe eingeführt von 50 Prozent. Details hier.
Schließen Sie, liebe Leserinnen, für einen Moment die Augen und stellen sich diese Verhältnisse auf Heute übertragen vor. Heidewitzka!
Das Heute ist gekennzeichnet durch eine Verrohung von Sprache, Sitten, Verhalten. Das ist allenthalben den Medien zu entnehmen und die darin zitierten Berufsgruppen geben diesem Befund recht. Alle, die mit Öffentlichkeit konfrontiert sind wie Rettungskräfte, Ordnungshüter, Bademeisterinnen, Lehrerinnen etc. pp., beklagen mangelnden Respekt, Verrohung, zunehmende Rücksichtslosigkeit, Gewalt, ein nicht gekanntes Ausmaß an Empathielosigkeit. Ein allgemeiner Verfall der Sprache und Sitten.
Über die Ursachen liest man eher weniger. Kein Wunder, dann würden die Kassandras in den Medien auch über ihre eigenen Leichen im Archivkeller stolpern. Waren sie es doch, die jahrzehntelang einem ungebremsten Neoliberalismus das, zumeist miserabel formulierte, Wort geredet haben. „Ich kenne keine Gesellschaft, ich kenne nur Individuen“, dieses ökonomisierte Mantra von Magret Thatcher, der Teufel hab sie unselig, hat sich bis in jede Pore der Gesellschaft, eines jeden Individuums festgesetzt. Ein Markt voller Individuen, wo jeder dem Anderen erbarmungsloser Konkurrent ist, wo nur der Starke überlebt und alle menschliche Regung eine Kostenfrage ist, was glauben die Schreiberlinge denn, was bei so einer gesellschaftlichen Grundierung nach ein paar Jahrzehnten rauskommt? Eine Kuschelgruppe?
Wenn wir nach gesellschaftlichen Triebkräften fragen, lohnt sich ein Blick ins Ökonomische. Ein Gedankenexperiment: Wie lange, liebe Leserinnen, reichen Ihre Rücklagen, wenn alle Zahlungen ausfallen, wie Rente, Gehalt, Transferleistungen, Zinsen (hahaha)?
Tagespiegel: „Jeder dritte Haushalt könnte seine Konsumausgaben nur wenige Wochen lang von seinem Ersparten bezahlen. Die ärmsten 20 Prozent … überhaupt gar keine Rücklagen“.
40 Prozent der Bevölkerung haben Schulden, Nichts oder fast Nichts an Rücklagen. Weitere 40 Prozent haben zwar etwas auf der hohen Kante, aber wissen um die Tatsache, dass es jede Menge (= 40 %) arme Schluckerinnen gibt und dass es ihnen ganz schnell genauso gehen kann. Die eigene Vermögensentwertung bis zur Rente kann sich jede selbst ausrechnen, wer heute noch eine Lebensversicherung abschließt, denkt vermutlich, dass unser Bundeskanzler noch Ludwig Erhard heißt. Diese Verhältnisse produzieren Angst. Das ist der Treibstoff, aus dem die allgemeine Verrohung der Sprache und der Sitten kömmt.
Wer darauf und auf mögliche Lösungen der sich anbahnenden Katastrophen eingeht, müsste aber bald eine andere Gesellschaft fordern. Und da hat der mediale Schreiberling zu Recht, weil er dann sofort seinen noch gut bezahlten Job los wäre, eins vor:
Angst.

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