19.07.2019 – Warum arbeiten wir oder: Der Schlüssel zum Erfolg!


NEKRO – Das Magazin für die Generation Gehhilfe. Einziger Inhalt: Ich.
Das Geburtstagsgeschenk eines geschätzten Freundes und Kollegen, was mich überaus erfreute, auch wenn ich in Bild und Wort darin zu 99 % schlecht aussehe (Andersherum wäre es eine Hagiographie und monströs peinlich und besagter Freund & Kollege ist ein Titan an gutem Geschmack, also …)
Professionell eine Zeitung mit mehreren Ausgaben in nennenswerter Auflage, spürbarem Erfolg, guter Qualität und politischer Relevanz herauszugeben ist ein Haufen Arbeit. Das habe ich zweimal in meinem Leben gemacht. Diese Arbeit schmeichelte unter anderem auch der eigenen Eitelkeit, ein Motiv, das für Erwerbsarbeit mittlerweile anerkannt, aber noch unterschätzt wird.
Allerdings habe ich noch keine Zeitung herausgegeben, derem Inhalt dem der NEKRO entsprach. Ich muss meinem Affen ja nicht zusätzlich Zucker geben…
Zwar sagt heute kein Mensch mehr, oder höchstens noch Gewerkschafter, wobei hier die männliche Form bewusst und zu Recht steht: „Es geht mir nur um die Sache.“ Geht es nie, es ist immer auch persönlich. Aber die Befriedigung von Eitelkeiten wird in Zusammenhang mit Arbeit gerne noch unter dem Deckmantel „Sinnhaftigkeit“ versteckt. Arbeit soll Sinn machen und befriedigend sein, dann unterliegt ihre Erfüllung einem intrinsischen Motiv, also aus sich heraus. 90 % aller Arbeit wird aus extrinsischem Motiv ausgeführt, also unter dem Druck der Verhältnisse: Kohle.
Eitelkeit als Superbia in Verbindung mit Hochmut und Stolz ist die erste der Todsünden der katholischen Kirche, sie wird Frauen eher zugestanden als Männer, was ich für diskriminierend halte und auch eher zugeschrieben, was ich für falsch halte. Man schaue sich nur Männer in Diskussionen bei Veranstaltungen an, wie oft möchte ich aufstehen und einfach laut und grell intervenieren: Kikeriki, wenn die Hähne wieder ihr Gefieder plustern. Ich habe irgendwann gemerkt, dass Männer bei Ausübung von Eitelkeit im öffentlichen Raum sehr peinlich aussehen und mir auch aus diesem Grund ein gerüttelt Maß an Selbstironie angewöhnt, denn natürlich bin auch ich eitel. Und es nimmt der Peinlichkeit einiges an Spitze, wenn man vor sich selbst und anderen dazu steht und darüber lachen kann.
Ich halte es mit dem legendären Dandy George Bryan Brummell, dessen Diktum lautet: Verbringe den Vormittag vor dem Spiegel, aber wenn Du das Haus verlässt, darf Dir das niemand ansehen. Beim zeitgenössischen Dandy muss es hierbei auch immer um innere Haltungen und Ansichten gehen.
Die Sicht auf Eitelkeit ist zwar ambivalenter geworden und das etwas altfränkisch klingende Qualitäts-Urteil „superb“ hat ja nicht umsonst die Bedeutung „vorzüglich“, trotz des inkriminierten Wortstammes. Aber nach wie vor ist Eitelkeit ein Karrierehemmnis. Ich kenne mehrere Beispiele, wo Kollegen trotz ausgewiesener Kompetenz, Fleiß und excellenter Arbeit keine Karriere machen, weil sie da ihre Eitelkeit wie eine Monstranz vor sich hertragen, wo Demut angezeigt wäre. Das kommt in der Modebranche vielleicht gut an, aber nicht in meinen Zusammenhängen. Womit explizit nicht die Kulturproduktion gemeint ist, da ist mitunter 24stündiges Hähnekrähen ein Schlüssel zum Erfolg.
Bliebt die Frage: Wann schlägt Eitelkeit um in den Verlust von Scham? Scham ist konstituierend für das Funktionieren unsere Gesellschaft. Die Tatsache, dass unsere Gesellschaft als zunehmend verblödet und irrsinnig bezeichnet werden muss, hängt damit zusammen, dass sie zunehmend schamlos ist.
Eins ist mal sicher:

Der Verlust der Scham geht der Verblödung voraus. NEKRO Nr. 1, Seite 18.

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