20.07.2019 – Der neue Blick


Drohnen-Blick auf das Hausprojekt eines Freundes, irgendwo in den Weiten der norddeutschen Tiefebene.
Wir sind in der Wahrnehmung unserer Bebauung nur zweidimensional. Wie das, was uns prägt, die Stadt, das Dorf, unseren Alltag maßgeblich strukturiert und beeinflusst, von oben aussieht, entzieht sich weitgehend unserem Blick. Wie bedauerlich dieser Mangel ist, sieht man an der Faszination, die Luftbilder auf uns ausüben, auf mich jedenfalls. Das einzige Foto, das bei mir in der Küche hängt, ist eine Luftaufnahme unseres Grundstücks, mit Haus und Garten. Die komplette Schönheit von Gartenanlagen wie dem Großen Garten in Hannover, einem einzigartigen Barockensemble, entfaltet sich nur in der Draufsicht. Dieser Mangel an Wahrnehmung ist mit ein Grund für einen uralten Menschheitstraum: Das Fliegen. Als wir dann fliegen konnten, sahen wir allerdings: Nichts. Bis auf Start- und Landebahn. Abgesehen davon, dass die Realisierung dieser Utopie uns aus ökologischen Gründen jeden Tag dem Abgrund einen Schritt näherbringt, was wir Fort-Schritt nennen.
Insofern ist die massenhafte Verfügbarkeit von Drohnen ein Schritt der Emanzipation, er befreit uns mittels günstiger technischer Hilfsmittel gefahrlos von der bleiernen Schwere der zwei Dimensionen und lässt uns Adlern gleich die Lüfte erobern. Na ja, fast. Ich persönlich bin zu blöd für die Technik, die dahintersteht. Der erste Drohnenflug wäre mein letzter und vermutlich würde ich als Kollateralschaden noch das Flugzeug der Bundeskanzlerin vom Himmel holen, was im Falle von Angela ein Verlust wäre, menschlich gesehen. So bin ich froh, technikaffine Freunde zu haben, die Einem neue Perspektiven ermöglichen. Und das ist tatsächlich das Fortschrittliche an Drohnen: sie ermöglichen eine neue Sehweise, Veränderung der Perspektive. Früher hat mich das Haus-Projekt, siehe oben, ein wenig gegruselt. Als Mann jenseits aller handwerklichen Fähigkeiten erschien es mir unfassbar, wie man sich auf ein derartiges Projekt einlassen kann, wo außer dem Fachwerk alles erneuert werden muss. Natürlich, Pioniergeist, Go west, young man! Aber wie heißt es auch für Siedlergenerationen: Der Erste den Tod, der Zweite die Not, der Dritte das Brot. Und ich muss nicht überall der Erste sein. Pioniergeist ist mir irgendwie wesensfremd.
Aber diese Aufnahme hat meine Sichtweise verändert. Sie bildet nicht mehr die bedrückende zweidimensionale Enge und Schwere einer Baustelle ohne Ende ab, sondern wirft einen freien Blick auf das Ganze, die Welt, wie sie wirklich da unten ist, in ihrer ganzen Schönheit.
Natürlich sind Drohnen wie viele Fort-Schritte, ambivalent. Sie können als Killermaschinen genutzt werden und haben die Vision vom Big Brother in neue Dimensionen gebracht. Aber vielleicht sind sie auch ein Beitrag zur Lösung des CO2 Problems, indem sie perspektivisch den Warentransport auf der entscheidenden letzten Meile vom Auto befreien.
Und manchmal bin ich ja doch zumindest ansatzweise auf der Höhe des technischen Fortschritts und sooo dankbar dafür. Wenn ich mir vorstelle, ich mit meinem gruseligen Orientierungssinn müsste mich in Berlin statt mit Google Maps mit einem Falkplan (für die Jüngeren: ein Faltpapier-Stadtplan, der bei jedem Windhauch ein groteskes Eigenleben ent-faltet) orientieren, entspringt ein Lachanfall meiner Kehle. Eine Nummer für einen Witzfilm. Man sieht sie mitunter noch in Berlin, Menschen mit Papierplänen, das hat etwas melancholisch-rührendes an sich, wo Jüngere vielleicht denken, es sei eine religiöse Kulthandlung. Dann möchte ich zu ihnen gehen, sie umarmen und sagen: Alles wird gut.
Aber das wäre gelogen.
Ich freue mich jedenfalls wie ein Schneekönig darauf, wenn besagter Pionierfreund demnächst mit seiner Drohne Fotos von meinem Garten von oben macht, und ich mitten drin, winkend, an meinem Teich.

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