04.01.2020 – 2020 ff.


Ohne Worte. Was schon zwei Wörter sind.
Ich habe den Eindruck, dass bei den Prognosen über das neue Jahrzehnt ein Unterton von Pfeifen im Walde mitschwingt.
Alle Prognosen sind vom Ende her gesehen Asche, Vanitas.
Eine gepflegte Pandemie kann alle Prognosen über den Haufen werfen. Ein mutiertes Vogelgrippe-Virus, das die Mortalitätsrate des unbehandelten HIV-Virus besitzt, würde auch in sozialer Hinsicht unsere Gesellschaften alt aussehen lassen (Die Rate beträgt 100 Prozent über 20 Jahre). Lokale Atomkriege zwischen Indien und Pakistan oder irgendwo anders sind keine Gehirngespinste mehr.
Und wer weiß schon, wie der nächste heiße Scheiß unser Leben verändert. Nach dem Smartphone z. B. ist die Welt eine andere geworden. Außer Trappisten und Amish gibt es keine nennenswerten Gruppen ohne das Ding. Fast jede Deutsche unter 65 nutzt ein Smartphone. Arbeit, Freizeit, Kommunikation auf der Höhe der Zeit ist ohne das Ding nicht machbar. Mir ist das Ding eigentlich schnurz, ich seh es halt wie einen Lichtschalter. Wer liebt schon einen Lichtschalter, aber ohne den wär’s duster. Selbst ökologisch hat das Ding Vorteile, wie das erregte Geschnatter um die Bonpflicht zeigt. Bargeldloses Zahlen mittels Smartphones und die Papierberge fallen weg. Das ist auch auf viele andere Bereiche anwendbar und muss hier nicht erörtert werden, das geschieht seit Jahren in den einschlägigen Organen. Spannend finde ich diesen Prozess dort, wo er Veränderungen im privaten, alltäglichen Bereich hervorruft, jene mikroskopischen Veränderungen, die feine Spuren im Sand des Bewusstseins hinterlassen.
Ich führe zum Beispiel meinen Terminkalender per Papier, darauf passe ich auf wie auf meinen Augapfel. Virtuelles wie Outlook-Kalender ist mir eher Wurst, und Göttin sei Dank gibt es keine Macht der Welt, die mich zu sowas verpflichten könnte.
Hinten in den Kalender klebe ich zum Jahreswechsel immer den aktualisierten Adressteil ein, mit Anschriften und Festnetznummern. Aber wer telefoniert heute noch Festnetz? Wer schreibt noch Briefe? Wozu brauche ich eine Handynummer auf Papier?
Die Arbeit habe ich mir also heuer das erste Mal gespart. Und das war ein komischer, anrührender Moment, ein Moment des Abschieds, des Hinterhersinnens, fast meinte ich, mich beim Papier, beim alten und neuen Kalender, entschuldigen zu müssen.
In der Folge aber bekam Papier für mich auch eine kleine, andere Wertigkeit. Was seltener wird, wird ja auch kostbarer, geschätzter. Das gilt nicht nur für Toilettenpapier ….
Und alles, was mit Papier zusammenhängt, wird einer anderen Reflexion unterzogen. Handschrift zum Beispiel, und Schreibmaterial, wie Füller. Das sind auf einmal Wertgegenstände. Noch diese Woche eile ich in die wenig geschätzte City und kaufe mir einen guten Füller.
Oder bestelle ihn gleich per Smartphone.

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