15.01.2020 – Die Ersten den Tod, die Zweiten die Not, die Dritten das Brot.


Leinwand im Kino. Dokumentarfilm „Gruppe SPUR – Die Maler der Zukunft!“.
Im kleinen Kinosaal war außer mir noch eine Person, was ich als überaus angenehm und angemessen fand, schließlich war die Gruppe Spur die erste Künstler-Avantgarde Gruppe nach dem Krieg, von 1957 – 1965 https://de.wikipedia.org/wiki/SPUR , und Avantgarde ist nun mal die Sache der Wenigen. Die Gruppe Spur legte die kreative Grundierung für die 68er „Revolte“, mit Aktionen, Performances und Manifesten. Aber wie das so ist mit Avantgarde, für sie gilt der Grundsatz von Siedlern und Kolonisatoren: Die Ersten den Tod, die Zweiten die Not, die Dritten das Brot. Die Gruppe geriet in Vergessenheit. Ich kannte sie nur als Mitglied der Situationistischen Internationalen, deren Ideen und Aktionen maßgeblich das Wirken des Künstlernetzwerkes SCHUPPEN 68 beeinflusst haben, wie sonst nur Walter Benjamin und Donald Duck. Der Film löste in mir mehreres aus, was ein Idealfall von guter Kunst ist: den Wunsch, ein besserer Mensch zu werden (Katharsiseffekt von Kunst), in dem Sinne, dass ich mir stante pede schwor, wieder aktiver zu werden in Sachen Aktion, Performance und Intervention, jenseits meiner Brotberufe. Ich war emotional angerührt, mit Freude, Begeisterung, Mitfühlen. Und schaltete während des Filmes kognitive Querprozesse in Gang, wen gab es da noch, wie war die Situation in der BRD grundsätzlich damals, was war das Revolutionäre an der Gruppe, was ist das Futter daraus für heutige Kulturproduktion.
Ein excellenter Film, den Kauf der DVD kann ich nur empfehlen.
Das Erleben des Films war in dieser Form aber nur im Kino möglich. Nur der Raum des Kinos verschafft Emotionen jenseits des Filmerlebens auf dem heimischen Sofa,

das fängt beim Ritual des Kartenkaufs und Knabberkrams an der Kasse an, geht über das anregende Vorspiels der Werbung in den warmen, weichen Sesseln über den flimmernden Lichtstrahl des Projektors, wenn es sowas noch hat, bis zum Erleben der anderen Sound- und Bilddimension und hört beim wohligen Ausklingen des Abspanns noch nicht auf. Und alles kollektiv, aufgehoben im Gleichstrom der Anderen. Worauf ich allerdings verzichten kann, mir war die zweite Person neulich schon zuviel.
Außerdem ist durch die Materialität des Films eine immer seltener gewordene Linearität des Erlebens gegeben. Normal ist die Konsumsituation von Bildern ja heute virtuell und digital-nichtlinear, das heißt, jedes Bild ist jederzeit an jedem Ort auf jedem Träger (=Smartphon) abrufbar. Im Kino sind wir noch mit der Triebaufschubreligion des Kapitalismus konfrontiert, die ja nur so wirksam funktioniert, wenn dann später (Elternsound der Nachkriegsgeneration „Später, das ist noch nichts für Dich, für Kinder, das kannst Du später mal machen und dann verstehst Du das auch“) tatsächlich auch ab und zu irgendwann Triebabfuhr erfolgt, sprich, endlich kommt der und der Film in mein Kino. Das ist ja fast wie beim Urlaub.
Nur die Kunstform Film ist so an einen spezifischen, konkreten Raum wie das Kino gebunden. Theater, Bildende Kunst, Musik haben zwar ideale technische Reproduktionsforen in den Musentempeln des Bildungsbürgertums, finden aber ihre edelste Entfaltung in den Schuppen des off-mainstreams oder gar auf meinem Lieblingskampfplatz: Der Straße. Die Literatur ist mittels (E-) Buch überall zu Hause. Nur der Film braucht zwingend seinen Raum.
Bittere Randnotiz zur Gruppe Spur: Am bekanntesten wurde ihr kurzfristiges Mitglied, der notorisch linksradikale Antisemit Dieter Kunzelmann. Heimrad Prem hat 1978 Selbstmord begangen, Helmut Sturm, Hans-Peter Zimmer und Lothar Fischer sind auch alle tot und die kennt keine Sau. Mich auch nicht. Ich bin lediglich regional teilbekannt, wie mir ein hiesiger Künstler mal hinterherwarf. Der Spruch steht auf der Liste der 100 Favoriten für meine Grabinschrift:
Er war regional teilbekannt.

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