
Streik der Gilde-Brauer, Soli-Demo am 29.02.2020. Eigentlich ein kleiner, regionaler Streik von einer Handvoll Beschäftigten, der aber mit erbitterter Härte geführt wird und weit über die Brauerei hinaus Bedeutung hat. Wenn die Beschäftigten den verlieren, hat das Signalwirkung. Es geht darum, ob die Arbeitgeber Erfolg haben mit Tarifflucht, Lohndrückerei und Spaltung von Belegschaften. Wenn sie damit an dieser Stelle Erfolg haben, ist das ein Signal an alle Arbeitgeber, im Zweifel auch so zu verfahren, vor allem bei zukünftigen Rezessionen. Corona, ick hör Dir trapsen.
Profitmaximierung und gleichzeitige Domestizierung der ohnehin schon handzahmen hiesigen Gewerkschaften, was für Bier auf die Mühlen von Gestalten wie Friedrich Merz, Lindner und dem AfD-Gesindel.
Das Arbeitgeber-Muster des Streiks ist klassisch und hat das Zeug zu einem epischen Drama im Kleinen: Tarifflucht, Aufspaltung des Betriebs in kleine Einheiten, dadurch Behinderung der Betriebsratsarbeit und Entsolidarisierung der Belegschaften, Aussperrungen, Einsatz von Streikbrechern, mit allen Emotionen des Lebens und des Theaters wie Wut, Hass, Trauer, Liebe, Wahnsinn… . Wer wissen will, wie sich sowas in groß abspielt, möge die Geschichte des Bergarbeiterstreiks in Großbritannien 1984/85 nachlesen. Diese Niederlage der Arbeiterbewegung ist von ihrer Bedeutung für den weltweiten Sieg des Neoliberalismus gar nicht hoch genug zu veranschlagen.
So trägt also dieses kleine, regionale Ereignis in sich den Kern des Epischen Dramas und gebar in mir den Entwurf eines dergestalten Bühnenstücks im Shakespeareschen Gewand. In der Rolle des Schurken: Friedrich Merz. Sein Gegenpart ist die Flaschenabfüllanlagenbedienerin (das Wort weist daraufhin: Es ist ein urdeutsches Drama) Henrike May. Sie ist Streikposten bei der Gilde, beider Lebenswege kreuzen sich einmal. Friedrich Merz wird in einer schwarzen Limousine von seinem Luxushotel zu einem Vortrag des hiesigen CDU-Wirtschaftsflügels gefahren, seine Fahrt wird kurzfristig aufgehalten durch Streikende auf der Straße. Er flucht in seinem Wagen in einem Monolog über die Streikenden und allgemein die Gewerkschaften als Bremser, Modernisierungsverweigerer und Minderleister. Indessen prügelt sich Henrike May draußen auf der Straße mit Streikbrechern, denen von Polizisten eine Gasse zur Arbeit freigesperrt wird.
Mittel der Inszenierung sind Videoeinspielungen, mit Splitscreen, u. a. von der Straßenszene, die sich in einem zweigeteilten Bühnenbild fortsetzen, ein „Oben“ mit Merz, ein „Unten“ mit May. Platt? Klar, das Leben ist mitunter platt. Höhepunkte sind jeweils Monologe der Beiden in der Tradition von Shakespeares Hamlet. Der letzte Monolog gehört Merz, der als größenwahnsinnig, arrogant und dumm charakterisiert wird. Er ist als Königsmörder in der Tradition des Claudius gescheitert, Königin Angela Merkel hat ihn dreimal hintereinander in höfischen Intrigen gedemütigt. Das erträgt er nicht länger, steht am Abgrund des Selbstmordes und wendet Hamlets Monolog gegen die Frauen („Schwachheit, dein Name ist Weib!“) gegen sich selbst:
O dass dies sture, sture Fleisch zerginge
Auftaute, liefe als ein Wasser weg,
O dass der Ewige nicht sein Gebot
Gestellt hätt gegen Selbstmord!
Großer Gott, Wie lästig, schal, platt und ergebnislos
Erscheint mir das Getriebe dieser Welt.
Mit diesen Worten fällt der Vorhang und mir ist der deutsche Theaterpreis sicher.
Das Stück geht sonst nicht gut aus. Die Brauer*innen verlieren den Streik und Henrike May verflucht in einem großen letzten Monolog im Streiklokal ihren Liebhaber, der zu den Streikbrechern übergelaufen ist, die zahmen Gewerkschaften, die desinteressierten, entpolitisierten Massen und mich, den Autor, dass ich so einen Striemel zusammengedichtet habe.
27.02.2020 – Episches Drama mit Friedrich Merz in der Rolle des Schurken
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