18.03.2020 – Crémant in Morgensonne


Nicht, dass Sie mich jetzt für einen Alki halten, aber in manchen Situationen braucht es einfach etwas Luxuriöses. Mit manchen Situationen meine ich: jeden Morgen. Zumindest als antizyklisches Ritual in Krisenzeiten wie diesen.
Die Corona-Krise lässt sich jenseits von alltäglichen Belastungen und Bedrohlichkeiten natürlich auch als kulturelles Phänomen lesen. Sie gleicht wie Macbeth, Schillers Räuber, die Wiedervereinigung, das Internet, das Smartphone einem Drama, mit tragödienhaften Zügen.
Im Falle Corona ist die Drama-„Exposition“ der Patient Null. Das „erregende Moment“ ist z. B. der Lock-Down, wenn alles dicht macht. Die „Peripetie“, also der Umschwung, entspricht dem Kippen der Infektionsrate.
Ob das Corona-Drama im trägodenhaften Untergang wie bei Macbeth endet und wie beim Internet überwiegend in einem Haufen gequirlter Scheiße, oder eher komödienhaft sich auflöst im Sinne eines „Siehste, alles halb so wild“, wird der Gang der Geschichte zeigen. Eins unterscheidet das Corona Drama, einem 24-Stunden-Echtzeit Drama mit 80 Millionen Mitwirkenden und 80 Millionen Zuschauenden, von allen anderen: Niemand kann sich ihm entziehen, weder körperlich noch emotional. Dem postmodernen Smartphone- oder Internet-Drama kann man sich durch Abstinenz entziehen, womit man sich zwar von der Erkenntnis über die Welt, wie sie ist und wird, abkoppelt, aber man ist wech von. Geht.
Die Wiedervereinigung, ein bürgerliches Trauerspiel, konnte man ignorieren. Aber Corona?
Mein Terminkalender ähnelte bis vor kurzem einem Schweizer Käse, jetzt der Wüste Gobi, was etwas anderes ist als die wüste Gabi. Eine Sinnkrise hat sich bisher noch nicht eingestellt. Aber natürlich ändert sich die Richtung des Denkens unter dem Druck der Verhältnisse. Vermehrte Selbstreflexion und Veränderung des Alltags. Kleinigkeiten wie die vermutlich Virenübersäte Oberfläche eines Bankterminals. Sie lässt die Sehnsucht nach früher verschmähtem Online-Banking aufkeimen (sic!). Oder die Einsicht, dass in Zeiten bedrohlicher Körpernähe in Supermärkten mit x Virenherden, nicht nur an den notorischen Einkaufswagen, die früher geschmähte Variante der Online-Lieferungen von Waren des täglichen Bedarfs wie Portweine et. al. eine sowohl sinnvoll-gesundheitsförderliche („Stellen Sie’s vor der Tür ab. Das Trinkgeld liegt im Klingelbeutel neben der Klingel“) als auch solidarische Maßnahme ist, erhält sie doch den Kollegen von Amazon und Bringdiensten die Arbeit. So beschissen und schlecht bezahlt die ist, ist sie doch vermutlich 90 Prozent der Beschäftigten lieber als der Gang zum Jobcenter.

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