22.03.2020 – Virenfreie Erzählung, Teil 1.


Judith und Holofernes, Gemälde von Artemisia Gentileschi, einer Malerin (!) aus dem 17. Jahrhundert. Es wird vermutet, dass sie mit der Geschichte der Enthauptung des Holofernes durch Judith in dem Bild ihre eigene Vergewaltigung verarbeitet hat und insofern ist von Biografie und Sujet her verständlich, dass wir es hier mit einer Ikone des Feminismus zu tun haben. Ich bin ja ganz bei Euch, Schwestern, was das mit dem Patriarchat angeht, es sollte zu Phall gebracht werden. Ich könnte mich auch damit anfreunden, die Unterdrückung der Frauen nicht als Nebenwiderspruch der kapitalistischen Produktionsweise zu sehen, vielmehr funktioniert Kapitalismus nur durch das Patriarchat. Darüber gibt es Millionen von Abhandlungen. Hier ist nicht der Platz für Vertiefung.
Mir geht es um den flüchtigen Moment der Wahrnehmung, als ich an dem Plakat vorbeiflanierte, in vorcoronösen Zeiten. Das Bild verbindet den weiblichen Körper und Lust mit Tod, mit Mord.
Das ist eine brandgefährliche Ikonografie, und was dabei am anderen Ende der Kopf-ab-Geschichten herauskommt, sieht man an der perfiden Salome Darstellung von Lovis Corinth (Salome brachte mit einem verführerischen Tanz Herodes dazu, ihr den Wunsch der Enthauptung Johannes des Täufers zu erfüllen.) Was das für ein Frauenbild produziert, das bis heute nachwirkt, kann man und frau sich ausmalen.
Außerdem wollte ich zu obigem Plakat anmerken: Judith war Kapitalistin, sie beging den Mord mit ihrer Magd, also einer Lohnabhängigen, und sie war radikale Nationalistin, sie stellte das Wohl ihres Volkes mit mörderischer Konsequenz über ihr eigenes Leben. Ich gehe davon aus, Schwestern, dass ihr diese von mir hier skizzierten Nebenwidersprüche, wenn es denn nicht sogar Hauptwidersprüche sind, offen und angstfrei diskutiert habt.
Wieso ich gerade bei meinem Versuch einer Erzählung frei vom Virentopos ausgerechnet auf diese Geschichte gekommen bin? Es war das erste Bild im aktuellen Foto-Download meines Smartphones.
Was lernt uns das?
Kreative Arbeit orientiert sich nicht immer nur an stundenlangen Grübeleien beim Flanieren oder vor dem Einschlafen, sondern an pragmatischen Verrichtungen des Alltags. Sonniges Restwochenende, liebe Leser, und arbeiten Sie an Ihrem Frauenbild.

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