SCHUPPEN 68 Performance Ostern 1992 – Stadtmagazin Schädelspalter.
Ich bin ein Kind der Generation „Stadtmagazine“. Als sich – gefühlt kurz nach den Iden des vorigen Jahrtausends – Subkultur auch als kommerziell durchsetzungsfähiges Phänomen etablierte mit all ihren Konzerten, Ausstellungen, Performances, Selbsthilfegruppen, politischen Zirkeln, schossen Stadtmagazine aus dem Boden wie Pilze nach dem warmen Regen. Stadtmagazin-Lektüre war Pflichtlektüre Sie führten einem die grellbunte Palette aller Kulturmöglichkeiten jenseits des Mainstreams vor. Es kostete einen Abend, das alles anzukreuzen, was einen anschrie: Komm zu mir! Nimm mich!
Wovon im Zweifel knapp 10 Prozent realisiert wurden. Für mich war es aber auch der einzige Ort, an dem angemessen die durchgeknallten Aktionen des SCHUPPEN 68 regelmäßig veröffentlicht wurden, denn, aufgemerkt, liebe Kinder:
Es gab damals noch kein Internet als Massenkommunikationsmittel!
Luxuriös war man drauf, wenn man seine Veranstaltungshinweise faxen konnte. Sonst per Brief, ich buchstabiere: B-r-i-e-f. Außerdem konnte man bei den diversen Preisausschreiben Karten für Konzerte gewinnen, die man sonst eher nicht aufgesucht hätte, was eindeutig eine Erweiterung des Horizontes bewirkte.
Tempi passati.
Ich weiß nur deshalb, dass es in Hangover noch Stadtmagazine gibt, weil ich vor vielen Jahren ein paar Artikel für eines schrieb und seitdem jeden Monat ein kostenloses (Beleg?)-Exemplar im Briefkasten habe. Wie die so auf ihren Schnitt kommen, ist mir ein Rätsel. Kein Rätsel ist mir dagegen der Tod des links-alternativen Berliner Magazins Zitty, das ich mir in den letzten Jahren regelmäßig gekauft habe, um zu wissen, wie viele Hunderte einmaliger Veranstaltungen ich diesen Monat wieder versäumen würde.
Die Gründe sind offensichtlich: Printmedien auf dem Rückzug, Internet dominiert, nachwachsende Generationen nutzen soziale Medien als Information, Kultur verändert sich, Unterschiede zwischen Subkultur und Mainstream verwischen sich und Corona gibt der Kultur den Rest, samt Stadtmagazinen.
Relikte einer aussterbenden Generation sagen beim Abschied leise Servus.
Schön die teils wehmütigen Leserinnen-Kommentare in dem ausnahmsweise guten Spiegel Artikel oben, und auch präzise wie dieser hier:
„Es ist 1990 ja nicht nur die DDR verschwunden, sondern auch West-Berlin mit seinen Biotopen und Refugien für die schrägsten und eigenwilligsten Pflänzchen. Und Zitty war ein Teil davon. Ich weine dem Magazin ein paar Tränen nach. Es wird mir fehlen.“
In dem hannöverschen Magazin, das ich – siehe oben – regelmäßig im Briefkasten vorfinde, führt der Herausgeber jedes Mal auf der letzten Seite ein Interview mit dem hiesigen MP, Stephan Weil (SPD), einer Leuchte des Frohsinns und radikaler Filosof sondergleichen.
Auch ich weine ein paar Tränen.
Aber nur kurz, s’ist Sommer! Wie reimten wir damals so subkulturell-provokativ:
Der Himmel scheint, die Sonne lacht,
das hat die SED gemacht.
Sonniges Wochenende, liebe Leserinnen!
20.06.2020 – Auch ich weine ein paar Tränen.
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