11.07.20 – Eigentlich wollte ich eine ganz andere Geschichte erzählen


SCHUPPEN 68 – Performance „Langer Marsch durch Linden“ Anfang der 90er (Danke für die Erinnerung daran an Schorse, den Ersten Vorsitzenden des Bremer Sowjets des SCHUPPEN 68, den 1. Sekretär des ZK der Bremer Sektion des SCHUPPEN 68, den genialen Geist und großartigen Gefolgsmann, den Treuesten unter den Treuen und Liebling der Bremer Massen. Die Lieferung ist unterwegs!), die mit satirischen Mitteln zwei Mythen dekonstruierte: Maos langen Marsch, der die Machtübernahme der KP Chinas ermöglichte, und der Lange Marsch durch die Institutionen der 68er, die damit die Apparate unterwandern und die Macht im Staate übernehmen wollte, eine Art Studienräterepublik. Was daraus wurde, sieht man am Beispiel Joseph Fischer, der für mich nach wie vor, und das ist eine veritable Leistung, im Ranking der Kotzbrocken noch vor Gasgerd Schröder und Siggi Pop Gabriel kommt.
Das Bild macht mich irgendwie ein bisschen stolz, Anführer einer Gang gewesen zu sein, die so schräge Aktionen auf den öffentlichen Markt warf, dass wir sie selbst nicht bis ins Letzte begriffen. Und vor allem, dass wir keinen Begriff hatten von dem Potential, was darin lag. Das war auch besser so, sonst wäre es Arbeit geworden. Und davon hatten alle Beteiligten damals mehr als genug und teils die Schnauze voll.
Die Performance war unfassbar antizyklisch, weil sie Anfang der 90er, also nach der Annexion der Ostzone, beinhart politisch, aber auch avantgardistisch war. Das HB Männchen auf dem fahrbaren Untersatz war das einzige fahrbare Lenindenkmal der Welt, das wir später unter wütendem Protest der Marktbesucherinnen auf dem Lindener Wochenmarkt einweihten, mit elf Fürbitten an Lenin. Es lagen schwere Prügel in der Luft. Lenin war zu der Zeit verhasster als Mussolini, Franco und Pol Pot zusammen, und alles Linke war diskreditiert bis ans Ende aller Tage, also bis heute.
Wir gingen in der kreativen Arbeit kollektiv vor, das heißt, wir diskutierten Nächtelang heiß und führten alles kollektiv durch, was dem damaligen Zeitgeist, auch auf dem Kunstmarkt, des grenzenlosen Individualismus konträr stand. Kollektive wie Rimini Protokoll oder das Zentrum für politische Schönheit gab es erst viele Jahre später. Darüber hinaus waren wir unkommerziell, Null Staatsknete, Null Einnahmen, und dem strikten Prinzip des Eingreifens in die Öffentlichkeit verpflichtet: Die Kunst dem Volke und dem Volk aufs Maul – nicht geschaut, sondern gehauen.
Das Faszinierende an dem Foto ist neben allerlei Gedöns vom Opa, als er noch Flausen im Kopp hatte, das Rauschen der Hintergrund-Erzählung, das sich nun in den Vordergrund spielt: Der damalige Kiosk am rechten Bildrand, im Verein mit einem Pissoir, ist nun ein ambitioniertes Restaurant mit guten regionalen Speisen und dem schlechtesten Service des Universums. Das Brauer Stübchen links hinten ist eine Szene Lokal geworden. Die Straßenkunst ist weg, stattdessen belästigen einen Skate-Rüpel da.

Performance Publikumsreaktionen: Wo ist ihr Wärter?
Kramen Sie, liebe Leserinnen, mal alte Fotos aus dem vorigen Jahrtausend hervor und decken die abgebildeten Personen darauf zu. Daran können Sie am Hintergrund eine Geschichte der Republik ablesen.
Mir bleibt die Frage: Was wäre geworden, wenn …? Leicht zu beantworten: Würde ich mit Kunst heute, in Corona-Zeiten, meinen Lebensunterhalt bestreiten, Gute Nacht Marie und Michel.
Eigentlich wollte ich eine ganz andere Geschichte erzählen, Teil 2 vom Ende des Goldenen Zeitalters. Nächstes Mal. Schönes Wochenende.

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