15.07.2020 – Raschpicheln bis der Arzt kommt oder: Ein kurzer Abriss über die Nationalökonomie des 20. Jahrhunderts.


Raschpichler vor Ärztehaus.
Als Ausweis großen Schlaubergertums dienen bestimmte Vokabeln, die in Diskussionen, Vorträgen und sonstigem allgemeinen Blabla bedeutungsschwanger mehrfach und gerne mit unterstreichender dynamischer Gestik den Anwesenden in die Ohren geröchelt werden. Eine Zeitlang war es z. B. „Narrativ“, aber die Binse ist ausnarratiert. Wer’s jetzt noch benutzt, setzt sich dem Verdacht aus, es nur bis zur Fachhochschulreife gebracht zu haben.
Ein neuer Stern seit einiger Zeit am strahlenden Phrasenhorizont ist Disruption oder adjektivisch disruptiv. Das soll das Wirtschaftswort 2015 gewesen sein und 1997 seinen Ausgang in der Werbung und Mikrobiologie gefunden haben. Logisch, die Beiden sind sich ja auch zum Velwechsern ähnlich. Disruption meint, dass bestehende Wirtschafts-Strukturen aufgebrochen, umgebrochen und komplett zerstört werden. Das Ganze laut Wiki angeblich basierend auf der Theorie von 97 eines gewissen Christensen, seines Zeichens Bischof der Hormonen. Wozu doch Vielweiberei alles gut ist. Das mit dem Bischof passt übrigens, ist doch Wirtschaftswissenschaft keineswegs eine valide Wissenschaft, sondern eine Anhäufung von Glaubensgrundsätzen und Kaffeesatzleserei.
Das Ganze ist natürlich nur die halbe Wahrheit, nämlich Wiki-Wahrheit, über die Theorie der schöpferischen Zerstörung. Erfunden hat’s der Schumpeter, Anfang des 20. Jahrhunderts, kein ganz übler Zeitgenosse, war er doch Keynesianer, bevor es Keynes gab, Weltbürger und Frauenheld (kein Mormone!).
Ein üblerer Zeitgenosse war da schon der Zeitgenosse von Schumpeter, der Begründer des Neoliberalismus Friedrich August von Hayek , auf dessen Wirtschaftstheorien sich unter anderem Pinochet, Reagan und Thatcher beriefen. Hayeks Ideologie setzt auch auf Disruption als ständigen Prozess, nur ohne staatliche Kontrolle oder soziale Abfederung. Der Markt richtet alles. Der Markt als Gott.
Dieser Ausflug in die Nationalökonomie war deshalb nötig, um auf die brandgefährliche aktuelle Entwicklung hinzuweisen, in der die Disruption von einem Virus in Gang gesetzt und beschleunigt wird. Ganze Branchen werden umgewälzt, neu geordnet, verschwinden, andere gewinnen Dominanz, tauchen neu auf. So wie es heute keine Kesselflicker mehr gibt, wird es bald keine Automotorenbauer mehr geben. Schönen Gruß vom Getriebe? Ja. Abschiedsgruß.
Juristen? Brauchen wir nicht mehr. Dafür gibt’s Legal Techs.
Diese Umwälzungen werden natürlich auch von Wirtschaftswissenschaftlern und anderen Schamanen analysiert (besser: beplappert) und mit Glaubenssätzen in die Öffentlichkeit transportiert und ich verwette meinen Arsch drauf, dass nach der jetzigen Konjunktur von Staatsinterventionen (siehe Keynes oder auch Schumpeter) und sozialer Abfederung irgendwann wieder Gauner wie Hayek Konjunktur haben. Der Markt als Gott. Und dann Gnade Gott den Menschen mit wenig Geld.
Wie sagte doch Schumpeter über Hayek: dessen Liberalismus sei ausschließlich betuchten Self-made-Gentlemen und Sklavenhaltern zu empfehlen.
Dann hilft nur noch Raschpicheln bis der Arzt kommt. Siehe oben.
Prost.

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