17.07.2020 – Auch wir würden lieber zuhause bleiben


Demo von Obdachlosen und Unterstützer*innen in Hannover. Wer kein zuhause hat, kann nicht zuhause bleiben. Erst am Vorabend der Demo hat es die Stadt geschafft, wenigstens für ca. 60 Obdachlose menschenwürdige Unterkünfte zu organisieren. Da wird mit Milliarden jongliert zur Unterstützung von Konzernen wie Lufthansa und über sowas muss man diskutieren, demonstrieren. Ich fand es beeindruckend wie viele Obdachlose bei der Demo waren.
Leider nehmen immer mehr die Falschen ihr Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch. Und was den öffentlichen Mob vom Ballermann angeht: Kann man da nicht gegen Maskenverweigerer amerikanische Polizisten einsetzen? Man kann gegen die Jungs (und es sind immer Jungs, von denen man liest) ne Menge sagen, aber dass sie nicht konsequent in der Wahl der Mittel gegen Maskenverweigerer sind, kann niemand behaupten. Ich vermute – und das nicht in Rechnung zu stellen, wäre aus Gründen soziologischer Phantasie fahrlässig – dass wir mit Auftreten der zweiten Welle ab Herbst vermehrt öffentliche Unmutsäußerungen auf den Straßen sehen werden. Dann werden sich die sozialen Verwerfungen deutlicher abzeichnen: Arbeitslosigkeit, Armut, Wohnungsverlust nach Aufhebung des Kündigungsstopp am 1.7. Selbst wenn die Konsequenz nur lokale Lockdowns sind, können das Auslöser für Unruhe sein.
Da gibt’s mehrere Möglichkeiten: unkoordinierte, spontane Riots wie in Frankreichs Banlieus, die nach kurzer Zeit folgenlos in sich zusammenfallen, zunehmend Faschisten auf den Straßen, unter Umständen wieder als Brandschatzer vor Flüchtlingsunterkünften, wenn als Corona-Folge die Flüchtlingszahlen steigen, linksradikale direkte Aktionen, sanftmütig-esoterische Verschwörungstheoretikerinnen und, nicht zu unterschätzen, Demonstrationen von Beschäftigten aus Branchen, in denen Massenentlassungen drohen. Siehe Automobilbranche und Zulieferindustrie. Was ja nicht nur Seuchenursache hat, sondern auch grundsätzlichen Strukturwandel, da überlagern sich Ursachen-Wellen (inklusive einer Welle, die wir noch gar nicht kennen, benennen können).
Die IG Metall kann auch heute noch aus dem Stand Zehntausende auf die Straße bringen, und das wird sie bei drohenden Massenentlassungen, jenseits aller wohlfeilen Beschäftigungssicherungspakte, die dann Makulatur sind.
Ich bin gespannt, welche Ausprägungen diese Demos haben werden. Mögen die Hauptamtlichen der IG Metall noch mehrheitlich solidarisch und antirassistisch eingestellt sein, die Beschäftigten und Betriebsräte der IG Metall sind was das angeht (und anderes mehr) mit Vorsicht zu genießen. Der Anteil von AfD-Wähler*innen ist dort deutlich überdurchschnittlich und rechte Betriebsträte sind da keine Ausnahme mehr. Gewerkschaftsdemos, auf denen rechte Parolen zu hören und zu sehen sind, wären eine Zäsur. Ich bin IG Metaller, ich werde dann dabei sein. Aber nicht aus Solidarität mit den Beschäftigten.
Aber all das hier ist nur Unkerei und Schwarzmalerei. Bis dahin gibt es drei Impfstoffe, einer gegen Corona, einer gegen Blödheit und einer gegen Alles. Und dann bin ich sowieso nicht hier, sondern glotze stundenlang auf irgendein türkisfarbenes Meer.
Alles wird gut. Glauben Sie’s mir mal, liebe Leserinnen.

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