20.08.2020 – Die Ehrennadel des 50jährigen Jubiläums ans Revers meines Smokings.


Bus M 48 Berlin-Mohrenstr., den ich benutze, wenn ich zum Kulturforum will, wo nächstes Jahr die Neue Nationalgalerie wiedereröffnen soll. Da bin ich mal gespannt. Dem deutschen Proleten werden die Kosten, die am Kulturforum verbuddelt werden für die Renovierung der Nationalgalerie und den Bau des Museums der Moderne, schwer zu vermitteln sein. Ursprünglich bei 100 Millionen Planung, sind „wir“ jetzt bei ner halben Milliarde, was aber vermutlich auch schon Makulatur ist.
Auf den deutschen Proleten kommen ganz anders gelagerte Kosten zu, nämlich in Form von Lohnkürzungen. Der Technologiewandel hin zu Digitalisierung und Elektromobilität bedroht hunderttausende deutlich überdurchschnittlich bezahlte Arbeitsplätze, nicht nur, aber vor allem in der Automobil- und Zulieferindustrie. Das ist der Kern des deutschen Facharbeiter-Wesens, einzig auf der Welt. So sieht es zumindest der deutsche Facharbeiter und seine urdeutsche Flacharbeiter-Gewerkschaft, die IG Metall, deren Mitglied zu sein ich weder Ehre noch Vergnügen habe, es aber trotzdem immer noch bin. Schließlich will ich die Ehrennadel des 50jährigen Jubiläums noch ans Revers meines Smokings geheftet kriegen von irgendeinem IG Metall Oberbonzen. Als Lied wünsche ich mir dann „Wir sind die junge Garde des Proletariats!“
Hossa.
Die Rettung eines Teils dieser Arbeitsplätze wird teuer. Für die Proleten. Im Gegensatz zu früheren Arbeitszeitverkürzungen, siehe 40 Stunden Woche und 35 Stunden Woche, wird es diesmal nicht ohne erhebliche Lohnverluste abgehen. Konflikte um Arbeitszeitverkürzungen gehören zu den härtesten, geht es da doch ans Eingemachte, um den Verteilungskampf zwischen Lohn und Profit. Den Kampf um die 35 Stunden Woche bei vollem Lohnausgleich habe ich mitgemacht und ob das ein uneingeschränkter Erfolg war, darüber streiten sich die Geister, im Gegensatz zur Kampagne „Am Samstag gehört mein Vati mir!“ für die 40 Stunden Woche. Da gehörte mein Vati tatsächlich sukzessive Samstags mir und trotzdem respektive gerade deshalb gab es in den Siebzigern zweistellige Lohnzuwächse.
Schnee von gestern, zweistellig kann es heuer auch werden, aber als Lohnverlust. So sind nun mal die Machtverhältnisse. Wenn selbst die IG Metall im Vorfeld des Konfliktes nur von einem gewissen Lohnausgleich spricht, weiß der Kundige, wo der Hammer hängt. Respektive nicht hängt. Und da ich Kundiger bin als unter anderem ehemaliger Delegierter der IG Metall, weiß ich auch, welche erbitterten internen Konflikte es auf dem Weg dahin noch geben wird. Lohnkürzungen kann sich der deutsche Prolet nicht leisten, da wird es richtig Krawall geben in der Bude.
Der Haushalt des ideellen deutschen Gesamt-Proleten ist auf Kante genäht. Das Haus, zwei Autos, zwei Kinder, zwei Ehen, zwei Urlaube im Jahr, das alles will finanziert sein, und dafür stehen potentiell zwei Herzinfarkte ins Haus. Selbst wenn da nur 5 Prozent Netto flöten gehen, steht Überschuldung und Privatinsolvenz vor der Tür. 10 Prozent aller doitschen Haushalte sind jetzt schon überschuldet. Tendenz: steigend. Nach Corona, was vor Corona ist, Tendenz: Explodierend.
Ich wünsche allen Leserinnen ein herrliches Wochenende. Und falls Sie sich wundern, wieso das dieses Mal sprachlich so geschlechterunsensibel abging: wenn es überhaupt eine Männerdomäne gibt neben der katholische Kirche und dem Fußball, dann ist es das deutsche Flacharbeiterwesen.

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