20.09.2020 – Entweder geht diese scheußliche Tapete – oder ich.


Kürbis und Rosen. Stilleben aus meinem Garten auf dem Kühlschrank. In Anlehnung an die Parole „Brot und Rosen“ der Gewerkschafts- und Frauenbewegung. Seit gefühlten Jahrzehnten kochen die Mädels Kürbissuppe, schmeckt nach nix, außer da ist Kiloweise Ingwer und Möhre dran. Was ist nur aus der guten, alten Erbsensuppe geworden? Solchen und ähnlichen Kulturphänomen und gesellschaftlichen Wandlungen versuche ich in diesem Blog seit gefühlten Jahrzehnten auf die Spur zu kommen. Anhand von Beispielen aus verschiedenen Sphären, wie Politik anhand des Zerfalls der SPD, Kultur anhand von Sprachkonflikten und dem Niedergang des ehemaligen Proletariersports Fußball, aber auch Kunst. Immer verbunden mit dem „subjektiven Faktor“. Auch so ein Betroffenheits-Kampfbegriff aus der Entstehungszeit der Kürbissuppe in deutschen Mädelshaushalten.
Außer dem tendenziellen und allgemeinen Verfall in der Welt von Sitte, Anstand, Stil und Reflexion ist bei meiner Spurensuche nix rumgekommen, Verrohung an allen gesellschaftlichen Fronten. Manchmal hab ich das Gefühl, dass die Auseinandersetzung mit obigen Phänomenen unter meinem Niveau ist. Was soll man noch zu einer SPD sagen, die sowas wie Scholz zum Kanzlerkandidaten macht?
Soll ich mich echt an alten weißen Männern abarbeiten anhand der Gendersprache?
Oder soll ich ein Überbau-Phänomen wie Fußball kommentieren, so wesentlich es auch für die Verdumpfung der Gesellschaft ist, wenn sogar die Frankfurter Allgemeine merkt, dass der Fußball krank ist? Auf ein Niveau mit der Frankfurter Allgemeinen …?
Da halte ich es doch zumindest zeitweise lieber mit der Frage, welche Rose, siehe oben, für welches Knopfloch. Das sind Fragen, die sich auch Oscar Wilde, der letzte große Dandy klassischer Prägung gestellt hätte. Die Figur des Dandy wurde auf Grund sich wandelnder gesellschaftlicher Bedingungen vom Flaneur abgelöst, der untrennbar verbunden ist mit der Entstehung von Warenhäusern als Konsumtempeln und dem Aufblühen von Metropolen. Beide, der Dandy und der Flaneur, sind opulente, sich selbst inszenierende Gegenentwürfe zum bigotten katholischen Spießer und protestantisch-kapitalistischen Arbeitsmythos. Beiden gilt die Welt der Erwerbsarbeit Nichts. Was man sich leisten können muss.
Oscar Wilde war darüber hinaus auch Sozialist, der Sätze schrieb, die zur Digitalisierung passen wie Faust auf Auge, nur dass er sie damals, 1891, „Maschine“ nannte:
„Der Mensch ist für Besseres geschaffen, als Dreck aufzuwirbeln. All diese Arbeiten sollte eine Maschine ausführen… Wäre diese Maschine das Eigentum aller, so würde jedermann Nutzen daraus ziehen.“
Wilde starb verarmt im Exil, nachdem er wegen Homosexualität in England im Zuchthaus gesessen hatte. Seine letzten Worte:
„Entweder geht diese scheußliche Tapete – oder ich.“
Diese Worte und Wildes Gesinnung im Hinterkopf habend, werde ich jetzt mein Beinkleid zurecht legen, um demnächst die Gegend um den Viktoria-Luise-Platz flanierend zu durchmessen.
Vorher muss ich aber noch arbeiten. Am Sonntag. Bis in die Nacht.
Ob ich so die Aufnahme in die Gilde der Flaneure und Dandys jemals schaffe ….

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