05.10.2020 – Besser als jede Analyse


Weinberge Volkacher Ratsherr. Eine der bekanntesten Lagen in Franken, am Städtchen Volkach gelegen. Keine ganz große Lage, aber mit Weinen von da macht man nichts falsch. Zum Wandern eine Gegend wie aus dem Bilderbuch, alle paar Kilometer ein Dörfchen mit Straussenwirtschaften, wo es deftige fränkische Küche und jede Menge probierenswerte Weine gibt, die man im Handel nur schwer bekommt. Die Landschaft ist getränkt von Weinkultur. Wenn man in milder Spätsommersonne von einem Weinberg über die Landschaft, auf den Main schaut, meint man, es gäbe nichts Schöneres, vor allem, wenn man schon einen Schoppen intus hat.
Ich fand sogar gute Argumente für die Existenz von Kirchen, oben auf dem Ratsherrn. Ohne sie wäre das Panorama nur halb so schön und eine bessere Orientierung gibt es nicht im Gelände. Wobei die Ausschilderung in der Gegend Weltklasse ist. Man kann sich nicht verlaufen, unmöglich. Selbst ich kam da ohne Google Maps aus und das brauch ich sogar für den Gang zu meiner Mülltonne.
Auf sowas wie Ausschilderung achte ich in der Fremde auch aus zivilisationsgeschichtlichen Gründen. Meine These ist, dass eine zentrale Grundlage für die Entstehung von Zivilisation und Kultur das Phänomen der Ausschilderung ist. Nicht umsonst hieß es jahrelange bei allen Veranstaltungen des SCHUPPEN 68 kategorisch statt Ortsangabe: Es ist ausgeschildert! Unser Publikum sollte gefordert werden und meistens wollten wir auch keins. Publikum will jede*r, wir aber waren die Avantgarde von übermorgen. Bei uns fand die Kunst nicht nur nicht im Saale statt, sondern auch ohne Publikum.
Es war also alles wunderbar, da oben auf dem Volkacher Ratsherrn. Und doch fehlte zum perfekten Glück in diesem Blick eine Kleinigkeit: Azurblaues Meer mit goldgelbem Strand in funkelnder Sonne, dazu der Duft von Pinien, die den Olivenhain säumen, aus dem man gerade kommt.
Für die Ökobilanz nicht die beste Erfahrung, zu wissen, dass kein heimischer Urlaub auf Dauer das gerade geschilderte Setting ersetzen kann. Andererseits auch egal, weil wir den Point of no return des Verfalls eh überschritten haben, ökologisch und sozial. Ich für meinen Teil hab beim Anblick der SUVs in den schmalen Gassen der Volkacher Altstadt und der ganzen Heizpilze dort nur lachen können. Das gutsituierte Bürgertum heizt seinem Untergang entgegen.
Schön auch meine folgende Geschichte aus dem hiesigen Bürgertum, um mit einer heiteren Note zu enden. Zu meinen Job gehört es, mit allen demokratischen Parteien über Armut zu reden, so unlängst auch mit den Senior*innen der niedersächsischen FDP. Bei Diskussionsveranstaltungen pflege ich als Warming-up immer ein kleines Themenbezogenes Quiz mit kleinen Preisen und einer heiteren Note. Das gehört dazu wie das Stretching vor dem Laufen. Sie können dabei förmlich körperlich spüren, wie das Publikum entspannt, aufnahmefähiger und diskutierwilliger wird.
Meine Einstiegsfrage bei der FDP lautete: „Von welcher Partei stammt das folgende Zitat:
Eigentum grenzt Freiheitsraum anderer ein. … Wo die Verfügungsgewalt über Eigentum an Produk¬tionsmitteln zu Herrschaft über Menschen führt, ist ihre demokratische Kontrolle durch Mitbestimmung geboten.“
Die meisten tippten auf die Linke oder die Grünen. Auf die richtige Antwort kam keine: FDP. Aus den Freiburger Thesen von 1971.
Solche Geschichten beschreiben Veränderungen besser als jede Analyse.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert