19.10.2020 – Ich entsichere meine Pistole


Aktion „Appel und Ei“ zu „Hartz-IV-Erhöhung 14 Euro ab 2021“. Mit NDR-Berichterstattung, ab 11.02.
Vor der Aktion frug ich einen Künstler an zwecks Support. Für sowas habe ich einen kleinen Etat, also konnte ich ihm ein kleines Honorar anbieten.
Die Situation der vor allem freischaffenden Kulturproduzentinnen in Zeiten der Seuche ist ebenso klar wie dramatisch: 100 Prozent Verdienstausfall ist keine Seltenheit und vielen droht Hartz-IV.
Hartz-IV ist eine sozialpolitische Sauerei, die Menschen stigmatisiert, Armut fördert und die Spaltung der Gesellschaft vertieft. Ich habe dieses kafkaeske System des Überwachens, Strafens und Demütigens von Anfang an politisch bekämpft, mit Zeitungen, der Gründung von Betroffeneninitiativen, auf der Straße.
Solange es in der Welt ist, bildet es die letzte Auffanglinie für Menschen in existentieller Bedrängnis und wenn das so ist, dann gilt das für alle Betroffenen gleichermaßen, eine Zwei-Klassen-Gesellschaft innerhalb von Hartz-IV gibt es nicht, da ist der Kapitalismus ein gnadenloser Gleichmacher. Ich würde mir wünschen, dass die Betroffenen aufstehen und sich wehren, politisch, radikal, auf der Straße. Aber ich wünsch mir auch ne eigene Talkshow, Fazit: Das Leben ist kein Ponyhof.
Und so nehme ich – wenig überrascht – zur Kenntnis, dass die Künstlerkaste einen potentiell ins Haus stehenden Hartz-IV Bezug keinesfalls als Signal zu politischer Aktivität im eigenen Interesse und zu solidarischem Engagement für Millionen Hartz-IV Beziehenden im Lande nutzt, gegen das Prinzip und die Struktur von Hartz-IV. Richtig ist vielmehr, dass besagte Kaste des Öfteren aufheult, was das für eine Zumutung sei – wobei unausgesprochen immer mitschwingt: mit diesem asozialen, kulturfernen Pack in eine Topf gerührt zu werden. Hartz-IV ja, aber bitte nicht für mich, ich bin was Besseres. Das Floriansprinzip in Reinkultur.
Bei einer derartigen Haltung nicht weniger Kulturproduzentinnen geht mein Kotzreiz nahtlos in den Wunsch nach einer kulturfreien Gesellschaft über, befreit von derartigem Dünkel, beinharter Arroganz, gepaart mit Dummheit und politischer Verblendung. Und ich danke Athene, der Göttin der Kunst, dafür, dass Kultur eben nicht systemrelevant ist, entgegen dem frommen Wunsch des Feuilletons und vieler nach A 13 bezahlten Museumsgängerinnen.
Nach dieser Vorrede wird sie, liebe Leserinnen, das Zitat aus der ellenlangen Absage des Eingangs angefragten Künstler nicht überraschen:
„ … Ich gebe mir, wenn die Berichterstattung ungünstig läuft, auch selber noch das Image, ein Hartz 4 Bezieher zu sein. ….“
Und mit diesem asozialen Pack will ja kein Künstler was gemein haben.
Der Staat hat diese offene Flanke erkannt, hier könnte sich bei empathisch ausgelegten und Intelligenz begabten Künstlerinnen eventuell sowas wie Politisierung, Solidarität, Widerstand entwickeln. Daher wurde flugs ein sogenannter fiktiver Unternehmerlohn entwickelt für Kulturschaffende, anstelle von Hartz-IV. Unternehmer statt Hartz-IV, wenn das kein Ritterschlag ist. So bleiben die Kulturschaffenden brav bei der Kapitalismus-Stange und das Prinzip: Divide et impera funktioniert wie geschmiert weiter.
Wenn ich aber nochmal irgendwo lese „Kultur ist systemrelevant“, entsichere ich meine Pistole. Bis dahin guten Start in die Woche, liebe Leserinnen.
Ruhm, Lob und Ehre aber dem famosen Kollegen Marc Beinsen von den Improkokken, der spontan einsprang und der Aktion Leben einhauchte. Wenn Sie jemanden für Ihre Veranstaltungen, Feiern, für Workshops, Kurse ect. suchen: einen Besseren finden Sie nicht.

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