01.03.2021 – Über das Phänomen der vermissten Krankheit


Onkel Olli, die Kiosk Legende. Ich liebe solche Orte, jenseits der Normativität des Alltags. Jedes Mal lese ich: Der Rest übergibt sich. Passt sicher auch. Vor über 10 Jahren war Onkel Olli schon Ziel einer Soli-Sauf-Aktion des SCHUPPEN 68, was Sie hier im relativ sinn- und formfreien Video bewundern können. Manchmal stelle ich mir schon die Frage, ob meine Aktivitäten nicht etwas zielgerichteter auf Ruhm, Ehre, Erfolg und Reichtum ausgerichtet sein hätten können (ausgerichtet hätten sein können?) …
Aber begraben wollen wir die Vergangenheit, nicht preisen oder klagen wider sie.
Ähnlich und auch nicht schlecht hat das Shakespeare seinen Antonius am Grabe Cäsars (nein, nicht des Hasen!) sagen lassen:
Mitbürger! Freunde! Römer! Hört mich an:
Begraben will ich Cäsar, nicht ihn preisen.
Was Menschen Übles tun, das überlebt sie;
das Gute wird mit ihnen oft begraben.

Wenn Sie, liebe Leserinnen, ab und zu Reden halten müssen, Ansprachen, die den Mob erreichen sollen, grooven Sie sich in diesen Monolog von Antonius rein, er ist ein ragendes Beispiel mitreißender Rhetorik.
Welche Reden werden wir dereinst über die Seuche halten? Wie wird das Fazit ausfallen?
Dankbarkeit, dass es vorbei ist, verbunden mit dunklen Mahnungen über die Zukunft (um den Mob im Zaum zu halten)?
Ein sinistrer Seiteneffekt: Es wird Menschen geben, die die Seuche vermissen werden. Nicht weil sie Krisengewinnler wären. Das ist normal-pervers, siehe Amazon und die anderen zahlreichen Bereicherer, die nicht so blöd waren wie Nüßlein, sich zu erwischen lassen. Es geht um anderes.
Es gibt nicht wenige Menschen, die nach erfolgter Heilung eine Krankheit vermissen. Dafür gibt’s sicher einen Namen, aber zum Googlen bin ich zu faul. In extremer pathologischer Spitze lassen sich Menschen nach Verlust transplantierte Glieder wieder amputieren. Die vertraute Versehrtheit ist ihnen näher als die irritierende Veränderung zu vermeintlicher Normativität. Veränderung überfordert. So bedrohlich die Seuche auch ist, für Leben, Gesundheit, Existenz, sie nimmt ja auch Verantwortung ab, die Pflicht zur Entscheidung, die Qual der Wahl. Es ist ein gleichförmiges Dahin-Leben, eingeschränkt, bedrohlich, aber eine ideale Variante der eigenen Existenz, um Fehlentwicklungen, Scheitern, Misserfolge auf etwas Externes zu schieben: Die Seuche ist schuld. Wie entlastend.
Wie viele Menschen werden postpandemisch sagen, mit einem Seufzer des Vermissens:
Es war nicht alles schlecht in der Seuche?
Schaun mer mal.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert