11.03.2021 – Anderthalb Pfund Linda


Aufruf zu Demo am Weltfrauentag. Ich hab eine verschwommene Ahnung, was es mit Intersex und Nicht-binäre auf sich hat, keinen Schimmer hatte ich bis dato ich von der Bedeutung von intersektional und Agender, letzteres hab ich sogar zum ersten Mal auf dem Plakat gelesen. Irgendwann ist man eben abgehängt von Entwicklungen, Veränderungen, Diskursen. Sollen die jungen Leute mal machen, wird schon seine Richtigkeit haben und vermutlich in 10 bis 20 Jahren Standard sein.
Wenn man in Berlin durch Szeneviertel flaniert und die Plakate da studiert, ist das wie ein analoger Kunst-Stadtführer, bunt, ästhetische Avantgarde, kreativ, aber auch wie Bildungsurlaub, hochinformativ, andauernd muss ich da mein Smartphone zücken, um irgendwas Unbekanntes, wie eben Agender, zu dechiffrieren. Allerdings ist diese Art des Flanierens wesentlich nachhaltiger als Buchlesen oder Fernseh gucken, allein deshalb, weil man nach einer Lerneinheit gerne mal in einem Straßencafé pausiert und dem Gelernten bei einem Portwein oder Stück Kuchen nachsinniert.
Wenn ich daran denke und jetzt zum Fenster rausschaue, wo der Sturm Regentropfen senkrecht durch die feuchtdunkle Abgasgeschwängerte Straße pfeift, könnt ich Trübsal blasen. Ein Tief, das meinen Namen trägt. Auch das noch, jetzt geht mir auch noch Popkacke durchs Hirn.
Vor dem Plakat oben fiel mir die Szene auf dem Wochenmarkt, das bisschen Leben bleibt einem ja noch, ein paar Tage vorher ein, am Kartoffelstand: “Ich hätte gerne anderthalb Pfund Linda“. Der junge Verkäufer blickte mich einen Moment fragend an, es arbeitete in ihm, dann die erleichterte Antwort, Marktverkäufer*innen sind per se eher pfiffig: „Ah, Sie meinen 750 Gramm.“ Aussterbende Begriffe, anderthalb und Pfund, stattdessen technokratisches. C`est la vie. Was soll’s.
Über die Dialektik von Sprache und Bewusstsein könnte ich stundenlang sinnieren. Gestern in einem Interview im DLF sagte irgendein Verbandschef, Kliniken oder so, zum Thema mangelhaftes Impfgeschehen: „Wir müssen nur die PS auf die Straße bringen“.
Und sofort habe ich ein Bild vor mir: CDU-Wähler, BMW (5er oder 7er, auf jeden Fall Dienstwagen)-Fahrer, Lichthupenfetischist mit Tempo130-Allergie, redet seine „Untergebenen (sic!)“, meistens Frauen, nur mit „liebe Mitarbeiter“ an, etc. pp.
Und ich warte nur auf eine Veranstaltung, wo einer eine derartige Metapher ins Auditorium zimmert. Der Typ – Frauen würden eher selten einen derartigen anachronistischen Sprachmüll absondern – tut mir jetzt schon leid.
Zwei Stunden später, Nachtrag: die Vorsitzende des Ethikrates, Alena Buyx, fordert in Sachen „Impfen“ im ntv-Interview, ab 0:35: „Wir müssen Meter machen“ Geht auch ohne PS.

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