Karneval der Kulturen 2018, Berlin-Kreuzberg, mit Schweizer Narrengruppe vor dem Yorck-Programmkino. Meine damalige Heimstatt war direkt umme Ecke. Das kriegt man in Berlin nur, wenn man einen Sechser im Lotto hatte oder jemanden kennt, der einen kennt … Ich bin gespannt, ob ich sowas jemals wiederkriege. Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr (Wer erinnert sich noch an Meister Nadelöhr? Pitti platsch oder Schnatterinchen?) oder ein Reicher in das Himmelreich als das eine Normalsterbliche eine bezahlbare Unterkunft in Berlin findet. WG-Zimmer, 16 qm, 500 Euro, aber nur nach vorherigem Kreuzverhör im Rahmen eines Schauprozesses („Watt, du isst Fleisch? Nee, Alter, ditte jeht jaarnich!“).
Vor dem Hintergrund dieses Szenarios ist es nachvollziehbar, dass ich mir am Sonntag den Tatort anschaute, was ich normalerweise nie mache. Es ging um den Wohnungsmarkt in Berlin mit all seinen Facetten: Von krimineller Entmietung über Obdachlosigkeit bis hin zu Totschlag. Der Film war wider Erwarten gut, auch ästhetisch. Die klassische lineare Ästhetik von Zeit und Raum war unaufdringlich aber beeindruckend gebrochen durch Verfremdungen, Einblendungen von Obdachlosen und ihren Statements.
Der Film war ein Lehrstück über Kapitalismus: Der geht bei den in Rede stehenden Profitraten auf dem Immobilien-Markt über Leichen, ungehindert von Recht und Gesetz, also vom Staat, dessen Wesen hier auf den Punkt gebracht wurde: Agent des Kapitals. Wer in Berlin zwangsgeräumt wird (ca. 5000 per anno), ist in einer existentiellen Notsituation, die auch tödlich enden kann. Das Bedauern darüber, dass es im Tatort mal einen Immobilienhai erwischte, hielt sich in Grenzen.
Die Antwort auf die Frage, wie unsere Gesellschaft mit diesem sozialpolitischen Problem umgeht, gab es am gleichen Sonntag, zwei Stunden früher: Einblendung der Wahlprognose Sachsen-Anhalt. Die Linke 11 Prozent, SPD 8 Prozent. Die beiden Parteien, denen allgemein die größte sozialpolitische Kompetenz zugeschrieben wird, erhielten zusammen weniger Stimmen als die faschistische AfD, deren sozialpolitische Kompetenz in dem Diktum gründet: Arbeit macht frei.
Die Mitte der Gesellschaft entscheidet Wahlen, das sind – noch – an die 60 Prozent der Bevölkerung. Dieser Mitte ist Sozialpolitik scheißegal, entweder aus konsequentem Interesse, weil die Betreffenden materiell so saturiert sind, dass sie nur einen minimalen Daseinsfürsorge- Staat brauchen. Oder aus purer Verdrängung, weil sie Angst davor haben müssen, demnächst abzustürzen aus der Mitte und beim Mob zu landen.
Was der Sache auch förderlich ist: In Villenviertel ist die Wahlbeteiligung oft mehr als doppelt so hoch wie in sozialen Brennpunkten, da wählt in manchen Blocks bis auf die Nazis keine mehr. Wenn Sie sich, liebe Leserinnen, mal mit einer Sozialpolitikerin unterhalten, fällt nach spätestens 10 Minuten automatisch-resignativ der Satz: „Mit Sozialpolitik gewinnste keine Wahlen“.
Mein Tipp für die Bu-Wahl am 26.09: Die Linke fliegt aus dem Bundestag und die SPD landet knapp zweistellig. Dieses Mal noch.
Aber die Grünen werden’s schon richten…
08.06.2021 – Mit Sozialpolitik gewinnste keine Wahlen.
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