15.06.2021 – Wie die Vergangenheit nach der Gegenwart greift


Todesanzeige vom 04.06.2021. Diese Anzeige hat mich ähnlich angerührt wie uralte Grabsteine auf noch aktiven Friedhöfen, durch sowas greift die Vergangenheit mit langen kalten Findern nach der Gegenwart. Die „Jungs“, die ihrer verehrten Lehrerin gedenken, leben ja noch.
Ich gedenke meines alten Volksschullehrers auch noch, aber eher unfroh. Der gute Mann hatte ein Bein im Krieg gelassen und war eher selten gut gelaunt, schritt gerne, getreu dem Motto: „Gelobt sei, was hart macht“, prügelnd durch die Pennälerschar. Mich erwischte es des Öfteren, ich hatte ein großes, vorlautes Maul, schon damals. Mit einem Unterschied: früher fing ich mir für sowas Kellen an die Denkmurmel ein, heute werde ich dafür hoch bezahlt. Na ja, relativ hoch. Eigentlich viel zu niedrig. Aber wir wollen nicht jammern. Wenn ich damals etwas gelernt habe, dann: Lerne leiden ohne zu klagen (Friedrich III, 1831 – 1888). Denn den meisten von uns so Geprügelten war klar wie Kloßbrühe: Zuhause auch nur ein Wort über den Vorfall und es gab die nächste Kelle. Gewaltfreie Erziehung war noch ein sehr zartes Pflänzchen. Heute ist sie eher Goldstandard und dadurch ist das Paradies auf Erden ausgebrochen: Keine Kriege mehr. Keine Männer mehr, die ihre Frauen prügeln (was ne Scheißformulierung: „ihre“ Frauen …). Keine Kindesmisshandlungen mehr.
Zurück zu 1854, dem Geburtsjahr von Anna von Borries, die einem uralten Adelsgeschlecht entstammt, Motto:
„Der Borries Trachten und Dräuen,
der deutschen Sache Gedeihen“

Geburtsjahr 1854, Krimkrieg, schon damals. Der Russe gegen den Muselmann, den Franzmann und den Engländer. Die doitsche Reichsgründung war noch 17 Jahre entfernt und, Hinweis für die Jüngeren: Es gab noch keine Smartphones!
Wären damals, im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, der der Reichsgründung voranging, die Bayern und Württemberger mit den Franzosen marschiert, was sie ursprünglich erwogen hatten, und nicht mit den Preußen, sähe die Welt heute anders aus. Preußen hätte den Krieg verloren, es gäbe kein Deutsches Reich. Wenn es einen Revanchekrieg gegeben hätte, wäre es sicher kein erster Weltkrieg geworden, sondern ein regional begrenzter Krieg zweier Mittelmächte Preußen und Frankreich. Damit auch kein zweiter Weltkrieg. Hallelujah. Aber ab da wird’s spannend. Es gäbe Preußen noch immer, aber wie? Vermutlich so ne Art Ostzone, die ihren Nachbarn noch mehr auf die Eier ginge als die aktuelle BRD.
Und das alles nur wegen der Gedenkanzeige von Anna von Borries.

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