17.06.2021 – 17. Juni: Gedenken an die Brüder und Schwestern in der Ostzone.


Gescanntes Dia. Aus der ostzonalen Diaserie „35 Jahre DDR“ (also 1984), die das verdienstvolle Kollektiv der Kulturschaffenden, Werktätigen und Faulpelze „SCHUPPEN 68“ bei Silke-Arp Bricht im Rahmen einer Performance zeigte, zum 45. Geburtstag der DDR, 1994.
Darüber, dass der anwesende ostzonale Mob uns bei dieser Performance spätestens nach der „Ode an Erich Mielke“ von der Bühne prügeln wollte berichtete ich mehrfach. Oh Ihr Götter, möge Euer Zorn treffen die Unwissenden, Trochäus und Jambus sind fremd ihnen wie früher Mallorca und Lichtenstein, so oder ähnlich dachte ich damals vermutlich. Heute sinniere ich darüber, wie diese Diaserie, echt nur im klassischen Diamagazin, bei der Vorführung klickend und knatternd durch den Projektor ratterte und einen staubwirbelnden Projektionsstrahl auf die Dreibein-wackelnde Leinwand schoss. Ein sinnliches Bilderleben, das sich einem PC-Beamer gesteuerten Präsentationsakt verschließt, benötigte man (Diaprojektor war wie Grill: immer Männersache) doch bei ersterem zur Vorführung unzählige Voraussetzungen und Arbeitsschritte: viel Platz fürs Archiv („Karl-Friedrich, die Dias kommen jetzt endlich auf den Boden, wir haben keinen Platz mehr für die Fotoalben!“), Zeit für stundenlangen Aufbau (die Leinwand fällt um. Immer), Muße zum exakten Einräumen der Dias („Sorry, das ist nicht die Kuppel des Petersdomes sondern Brigitte bei unserem FKK Urlaub im Jahr davor!“) usw. usf.
Eine Diaprojektion konnte das erzeugen, was einer Beamerpräsentation fehlt: Aura.
Diese Kategorie ist von fundamentaler Bedeutung für Kulturrezeption und darüber hinaus bin ich sicher, dass das Verschwinden von auratischen Momenten in der Moderne viel zu tun hat mit den irrlichternden Verhältnissen der Gegenwart, in denen immer weniger Menschen bei sich sein, Ruhe aushalten können, kirre werden in Hirn und Herz bei der ständigen Jagd nach Erfüllung, Konsumbefriedigung und Glück und der irrsinnigen Erwartung, dass alles sofort im Hier und Jetzt geschehen muss.

Natürlich will ich die Diaprojektor-Zeiten nicht zurück, sowas macht man heute mit dem Smartphone und kein Mensch mit Verstand rennt bei einer normalen Wanderung mit einer Landkarte rum, sondern mit Google maps und Komoot. Aber beschreiben sollte man die Entwicklung schon ab und an, allein um sie im Hegelschen Sinne aufzuheben.
Ausgelöst wurde die Predigt des heutigen Tages durch selige Erinnerungen an den 17. Juni früherer Jahre, als meine Eltern als letzte in unserer Straße noch Kerzen ins Fenster stellten zum Gedenken an die Brüder und Schwestern in der Ostzone und ich als kleiner Pöks mich damals umgehend entschloss, den Aufstand des 17. Juni späterhin als konterrevolutionären Putsch zu betrachten. Allein schon deshalb, weil der postmodernde Dandy die Dinge niemals sieht wie der Rest, sondern immer antizyklisch.
Wenn Sie noch alte Dias haben (DDR 35 Jahre), scannen Sie die umgehend ein. Wenn Sie Pech haben, ist da kaum noch was drauf zu sehen oder die sind verschimmelt.
Und candle in the window geht doch noch: John Fogerty singt darüber.

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