01.08.2021 – Über Traumata. Oder: Warum Eva an allem schuld ist


Duftrose. In Nasenhöhe auf meiner Veranda.
Uns prägen noch archaische Vorstellungen vom Paradies, aus Bildern von Hieronymus Bosch oder der Bruegel Family, wo der Wein aus Brunnen fließt und einem gebratene Krammetsvögel ins Maul fliegen. Die damaligen Zeiten von Hunger und Mangel sind vorbei. Wein aus Brunnen ist heute eine Gaudi für Zecher, beispielsweise beim Rheingauer Weinfest auf dem Rüdesheimer Platz in Berlin (was trotzdem eine ganz zauberhafte Veranstaltung ist). Und die Vorstellung von gebratenen Krammetsvögel im Maul dürfte für heutige eingefleischte Veganerinnen eher was mit Dantes Inferno denn mit dem Paradies zu tun haben.
Für dem Mangel entwachsene Mitteleuropäer*innen dürfte die Vorstellung vom Paradies aus einer Mischung von einsamem Strand, Ruhe, gepflegten Cocktails und erlesenen Gerüchen bestehen, eventuell noch in Gesellschaft von jemandem, der oder die einem nicht nach 24 Stunden schon auf die Nerven geht.
Insofern kommt meine Veranda dem Paradies ein Stück nahe, weil mich zur Zeit jeden Morgen dort eine köstlich-intensive Rosen-Duftcomposition aus frischem Zitrus und feinen Teearomen umweht, ohne dass ich mich zu bücken brauche.
Was ja auch zum Paradiesbild gehört: Das Anstrengungsfreie, die Abwesenheit von Arbeit. Das wiederum ist das Menschheitstrauma der Paradiesvertreibung schlechthin: Arbeit als Strafkonsequenz für den Sündenfall, bei dem Eva die Sexualität an den Mann brachte. Sie wissen schon, die Geschichte mit dem Apfel. Und danach mussten wir im Schweiße unseres Angesichts unser Brot essen, meint: Ackern.
Heute fließt der Schweiß überwiegend in paradiesischen Urlausregionen, aber nach wie vor nehmen Legionen weißer, alter Männer Eva die Sache mit dem Apfel übel (weisse, alte Männer müssen nicht zwingend weiss, alt und männlich sein. Damit ist eine ideologische Ausrichtung und keine biologistische Zuschreibung gemeint). Zumal das Weib ein inferiores Wesen ist, weil aus der Rippe des Mannes geschnitten. Woraus man heute eher edles Grillgut schneidet. Vom Schwein. Nicht vom Mann. Aber der hat diesbezügl. offensichtlich immer noch Kastrationsängste und hält sich alles Weibliche eher vom Leib, von der Rippe.
Das ging mir durch den Kopf, als mir unlängst eine AfD-Handreichung zur Wahl unter die Augen kam. Falls Sie es noch nicht gemerkt haben: es ist Wahlkrampf. Die Handreichung adressierte ihre Leser*innen wie folgt: „Liebe Parteifreunde aus allen Geschlechtern (mit Zwinkersmiley, damit alle den Witz kapieren)“. Im Text dann neben allerlei Nazigedöns auch das übliche Gegreine über linksgrünversifftes Gendern und anderen Weiberkram. Der Inhalt tut nichts zur Sache. Es geht um Humor. Witz. Eleganz. Esprit. Können Rechte Humor haben?
Sicher, siehe Dieter Nuhr. Die Frage ist nuhr (Hahahaha, Witz komm raus, Du bist umzingelt!), wie sieht der aus: Launig, schenkelklopfend, uralt, Holzhammer, geist- und witzlos. Da kommt man sich vor wie der notorische Comic-Verdurstende, der durch die Wüste kriecht und verzweifelt nach einem Wasserloch voller Witze sucht. Da kann er lange suchen. Hier gibt’s nuhr Wüste.

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