05.08.2021 – Mein galoppierender Verschwulungsprozess


Schattenspendende enge Dorf-Gassen auf Korfu.
Die Menschen in Griechenland haben zurzeit andere Probleme als Wandern. Mich beschäftigte das schon bei über 35 Grad im Schatten und so verabschiedete ich mich unterwegs nach den ersten Minuten vom klassischen Mackerwanderverhalten „Pausen sind was für Loser“ und hatte zugesehen, dass irgendein Weiler immer in Schlagdistanz war. Beim Wandern merkt man recht schnell, was einen wirklich umtreibt, beschäftigt. Je intensiver die Bedingungen, desto unkontrollierter fluten die Gedanken und kurz bevor man im Stadium ist, wo einem nur noch drei Gedankensplitter durchs Hirn spazieren: „Schatten, Pause, Wasser“, kommt man auf den Kern seiner Sorgen und Wünsche. Freude, gar jene seltenen, nicht planbaren Glücksmomente, kommen eher in den Pausen auf, wenn man von der Zinne eines Ölbergs den Blick über einen langen weißen Strand mit einer Taverne schweifen lässt. Oder wenn man in einem zauberhaften Dörfchen eine längere Rast macht, durch die engen Gässchen schweift, und dann auf dieses Bild stößt, das sämtliche Vorurteile über unselige Allianzen von Staat, Kirche und Militär, vor allem noch in Südost-Europa, auf das Schönste bestätigt.

Kirchturm, mit griechischer Flagge und Kriegerdenkmal, gekrönt im Hintergrund von einem ca. 8 Meter langen Torpedo. Nicht mehr scharf. Hoffentlich …
Wir verabschieden uns für Heute von der Solidaritätstour für die LGBTI-Gemeinde mit dem probatesten aller Mittel seinen Gegnern zu schaden: Lächerlich machen.
Der orthodoxe Metropolit Kornnilli (eigentlich ein schöner Name), vom Aussehen her an einen Mottenzerfressenen 70er-Jahre Flokati erinnernd, ist der Ansicht, dass Rasieren schwul macht.Ich fürchte, dieser Gedanke wird mir noch ein paar Tage lang bei der Morgentoilette den Rasier-Pinsel vor Lachen aus der Hand wedeln.
Jetzt reicht’s aber auch mit Identitätspolitik. Wir sind, auch wenn wir kaum etwas davon merken, im Wahlkampf und die unselige Identitätsdebatte bringt die Linke immer mehr in die Nähe der Fünfprozentgrenze. Nichts gegen Minderheitenschutz, aber wenn sich die Gesellschaft immer mehr in unzählige besonders schützenswerte Minoritäten ausdifferenziert, von denen jede lauthals rumkrakeelt: „Ich bin die Schützenswerteste im ganzen Land und alle anderen sind mir egal!“, dann gerät der zentrale Antagonismus im Lande vollkommen aus dem Blick: Zwischen Kapital und Arbeit.
Die Klassenfrage.
Kein Wunder, dass sich der früher Prolet genannte Angehörige des Prekariats in den sozialen Brennpunkten mit Grausen wendet. Das Beste, was dann passieren kann, ist seine Wahlverweigerung. Anderenfalls macht er sein Kreuz bei der AfD oder noch weiter rechts.
Bei allem Engagement für Minderheiten und Gendergedöns etc., irgendwann muss Butter bei die Fische. Ich geh mich jetzt rasieren. Und halte Sie, liebe Leserinnen, über meinen galoppierenden Verschwulungsprozess auf dem Laufenden.

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