22.08.2021 – Ganz schön schräg


Sonnenblume Goldener Neger, dem Gang der Sonne nachwachsend.
Jeder Mensch hat, zumindest vermute und hoffe ich das, Erinnerungen an magische Orte, Erinnerungen, die, je verschwommener oder weiter in die Vergangenheit greifend, die Orte und die damit verknüpften Geschehnisse mitunter zum individuellen Mythos überhöhen. Bei mir sind es z. B. allererste Kindheits-Erinnerungen, wie ich, vielleicht dreijährig, auf Omas Kartoffelacker in den Furchen verschwand, das Laub der Erdäpfel schlug über meinem Kopf zusammen, ich war in einem Dschungel, meiner eigenen Welt. Das ist kein zusammenhängender Film, mehr eine Folge von Standbildern, Einzelsequenzen. So wie später dann die bohnergewachsten Flure der Volksschule, wo ich verzweifelt heulend allein herumirrte, niemand da außer mir, weil meine Eltern verpeilt hatten, dass es auch sowas wie Ferien gibt. Erster Ferientag und Kevin allein in der Penne. Das erste Mal, wo ich reif für die Couch war.
Oder, als der Jüngling schon zum Manne gereift ward, das Berliner Tempodrom, 1980 gegründet und derart mit einem alternativ-linksradikalen Schein aufgeladen, dass Helmut Kohl nach der Annexion der Ostzone das Zelt und sein Publikum als viel zu großes Sicherheitsrisiko in der Nähe des geplanten Bundeskanzleramts keinesfalls dulden wollte.
Erinnerungsfragmente an magische Konzerte machen das alte Tempodrom für mich zu einem auratisch-sehnsuchtsvollen Ort, ohne dass ich einen Schimmer hätte, was es für Bands waren oder wie das alte Tempodrom genau aussah. Ein paar Standbilder, von Tanzmoves und Bewegung auf der Bühne, vielleicht Johny Clegg oder Latin Quarter, ein vages Gefühl von „Alles ist möglich“, mehr ist da nicht und ich versuche im Moment krampfhaft, die Standbilder zu einem Film mit Details zu montieren, das Vage greifbar zu machen. Und wer ist schuld daran?
Die CDU. Die hat ja gestern ihre heiße Wahlkampfphase mit ihrem Kanzlerkandidaten Armin SpongeBob FLaschet eröffnet und zwar, und bei der Meldung bin ich fast aus meinem Ohrensessel gepurzelt: im Tempodrom. Früher, als alles noch besser war, im alten Tempodrom, hätte die CDU so eine Veranstaltung eher in der Hölle abgehalten und das Tempodrom wäre im Falle der Ankündigung einer solchen Veranstaltung in selbiger Nacht von der Basis abgefackelt worden. So ändern sich die Zeiten.
Ich fand die Meldung im ersten Moment ganz schön schräg. Und dann ploppten wie gesagt, diese magischen Erinnerungsfetzen in mir auf. Aber ich sollte sie belassen wie sie sind. Ist nicht Wesen und Kern von Magie und Mythos das schwer Fassbare, das Fragmentarische, das Unsagbare. Was wäre gewonnen, ich hätte einen vollständigen Film, wüsste wann das genau war, mit wem ich da war und welche Band das war. Johnny Clegg? Toll. Der ist mittlerweile tot.
Also lassen wir der Vergangenheit ihre Gloriolen und freuen uns auf eine Zukunft mit Baerbock, Scholz oder SpongeBob. Und konkretere Konzert-Erinnerungen aus den 90ern hab ich ja doch noch, an die stampfenden Groves der Scatterlings of africa. Requiescat in pace, Bro.

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