13.09.2021 – Die Messe ist noch nicht gelesen


Letzte Woche Straßen-Wahlkampf für die Linke bei der Kommunalwahl in Niedersachsen. Irgendwas muss man ja machen, auch wenn man nicht Mitglied einer Partei ist. Hat nix genutzt. Niedersachsenweit fiel die Partei von schlechten 3,3 Prozent auf miserable 2,8 Prozent.
Es ist schon faszinierend: Für ca. 40 Prozent der Bevölkerung ist das Leben ein täglicher Kampf, arm, erwerbslos, beschäftigt im Niedriglohnsektor, nach Zahlung der Miete unterhalb des Existenzminiums, keine Rücklagen, Schulden … die Zone des Prekariats beinhaltet viele Facetten.
In der Mitte der Gesellschaft, bei jenen ca. 40 Prozent, denen es noch commod geht, wächst die Angst vor dem sozialen Absturz.
Und was passiert mit der einzigen Partei, die das Thema Gerechtigkeit einigermaßen glaubwürdig wie eine Monstranz vor sich herträgt? Sie ist vom Verschwinden in der parlamentarischen Bedeutungslosigkeit bedroht.
Was bringt Menschen dazu, derart massiv gegen ihre existenziellen Interessen zu denken, fühlen und handeln? Hoffnung auf die Wiedergenesung einer SPD als soziale Instanz? Darauf, dass es schon nicht so schlimm kommt, wenn es denn schon nicht besser wird? Auf einen Lottogewinn?
Wahrscheinlicher ist, dass die Maschinerie des Neoliberalismus in den letzten Jahrzehnten gnadenlos effektiv, wie der Kapitalismus nun mal ist, gewütet hat. Die ewigen neoliberalen Mantren, die von der Bewusstseinsindustrie unablässig in die Herzen und Hirne der Verdammten dieser Erde geprügelt wurden, wirken nachhaltiger als jedes „Om mani padme hum“:
Die Verantwortung für Dein Marktversagen liegt nur bei Dir. Bei uns kann es jede schaffen, wer es nicht schafft zu Reichtum, Eigenheim und zwei Autos, hat individuell versagt. Ihr, die hier eintretet in die Hölle des Kapitalismus, lasst jede Hoffnung auf Verbesserung oder gar Utopie fahren. Der Staat ist schlecht, der Markt ist alles. Wenn die Wirtschaft brummt, wird es mir auch eines Tages besser gehen.
Es ist unglaublich, wie sehr die Trickle-Down-Theorie bis in den letzten Winkel von sozialen Brennpunkten Verbreitung findet: dass der Wohlstand der Reichsten einer Gesellschaft durch deren Konsum und Investitionen in die unteren Schichten der Gesellschaft durchsickert und zu Wirtschaftswachstum führt.
Jede Statistik belegt seit 30 Jahren, dass das Humbug ist. Trotzdem wird’s geglaubt, wie die Himmelfahrt Christi.
Fazit für die bevorstehende Bundestagswahl: die Messe ist noch nicht gelesen. Soo toll haben hier die Sozis nicht abgeschnitten und die CDU ist keineswegs untergangen, wie man den Umfragen entnehmen könnte. Die Grünen können sich in jedes gemachte Bett legen und für eins wette ich 5:1, Ihr Verdammte dieser Erde: Wenn es zu Jamaica kommt, dann wird es schlimmer.
Abteilung Mantra Nr. 2: Schuldenmachen ist böse. Die Schwäbische Hausfrau. Wir müssen den Wildwuchs in den Sozialausgaben bändigen. Der Staat muss schlanker werden. Wer gefördert wird, muss auch gefordert werden.
Viel Spaß noch in der Vorweihnachtszeit, liebe Leserinnen. Der Weihnachtsmann, garantiert ungegendert, wird’s schon richten.

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