03.11.2021 – surreal


surreal. Bei mir umme Ecke. Geschlossen. Riesige Handelsflächen stehen im Gewerbegebiet hier leer, ganze Bunker aus den prosperierenden 70ern wie der von Real. Dazu kommen noch größere Industriebrachen; Gewerbe und Industrie überlagern sich hier, gut erschlossen durch Schnellwege, sogar einen Hafen hat’s einen Steinwurf weit weg. Manchmal entsteht Neues, wie ein, zwei Gebäude mit dem verblasenen Namen Hannover-Docks. Da kann ich meine Wohnung auf Grund des Teichs in meinem Garten auch gleich beschreiben mit „Wohnen am Wasser“.
Aber ansonsten viel Brache, teilweise seit vielen Jahren, wie eine Feuerverzinkerei, die ich mal erkundete habe nach der Pleite. Da lagen noch Leporello-Lohnlisten auf den Schreibtischen und Pornos in den Toiletten. Surreal, wie nach einem Neutronenbombenangriff.
Wenn die Kommunen hier restriktiv ihr Baurecht anwenden würden, auf Wohnbebauung mit 50 Prozent Sozialwohnungsbau-Anteil, Flächenvergabe nur im Erbbaurecht und auch mal Bebauungspläne ändern, beispielsweise von reinem Gewerbegebiet in Mischgebiet, wäre hier ein Riesenpotential für existentiell notwendigen Neubau für Leute mit wenig Geld, die auf gut erschlossene Infrastruktur angewiesen sind. Nicht gerade die Feuerverzinkerei, dort dürfte der Boden bis zum Erdkern mit Schadstoffen verseucht sein, aber real ist bestimmt sauber wie ein Kinderpopo. Ein paar Meter weiter eine ehemalige Mödelbude von riesigen Ausmaßen, dahinter ein geschlossenes Gartencenter.
Stattdessen zieht alles, was Beine und Kohle hat, raus aufs Land, geht ja jetzt wegen zunehmendem Homeoffice, die Wege werden weniger. Was ja auch ökologisch ist. Weniger ökologisch ist allerdings die Tatsache, dass durch die unseligen Einfamilienbunker noch mehr Flächen zersiedelt werden. Macht andererseits aber auch nix, bei der Vermaiselung der Landschaften und ihren eintönigen Rapssymphonien.
Mir egal. Nach mir die Sintflut. Ich ergötze mich an Touren durch solche absterbenden Gewerbe- und Industriegebiete. Über ihnen schwebt ein wehmütiger Schleier von Abschied, Melancholie und Tod, eine ganz einzigartige Stimmung. Erinnert mich an meine Touren als DGB-Referent durch die damaligen DGB-Ortskartelle (so hieß das vor ein paar Jahren tatsächlich noch). Die Gewerkschaftsarbeit auffem flachen Land wurde ausschließlich noch von Senior*innen getragen, was zur Folge hatte, dass die einzelnen Kartelle einfach ausstarben. Mit ihnen die Reste einer Arbeiterkultur und ich war teilnehmender Zeuge dieser Zeitenwende.
Schwanengesänge. Wir aber brechen auf zu neuen Ufern.
Herrlichen Tagen führe ich Euch noch entgegen!

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